CD Kritik Progressive Newsletter Nr.76 (11/2012)

Rush - Clockwork angels
(66:06, Roadrunner Records, 2012)

Es hat mitunter auch was Gutes, ein Album mit zeitlicher Distanz zu beurteilen. Kurz nach der Veröffentlichung von "Clockwork angels" überschlugen sich diesen Sommer regelrecht die positiven Kommentare über das neue Rush Album, wurde es in euphorischem Überschwang gleich mal auf eine Ebene mit Klassikern wie "2112" oder "Moving pictures" gehoben. Okay, dieses Album ist sicherlich eines der stärksten und inhaltlich schlüssigsten Werke der letzten Jahre, aber nach mehrfachem Anhören erreicht es eben doch nicht den Klassikerstatus. Doch keine Panik, "Clockwork angels" ist ein gutes Rush Album, es sind Kleinigkeiten oder eben eine entsprechende Sichtweise, die dafür sorgen, dass es sich nicht um ein herausragendes Werk handelt. Das ist natürlich Gemecker auf hohem Niveau, doch selbst als bekennender Rushfan muss man sich eingestehen, dass "Clockwork angels" eben nicht ganz mit den brillanten Ideen bzw. grandiosen Momenten aufwartet, die die wahren Kultalben der Bandhistorie auszeichnen. Zudem sind immer wieder bestimmte Selbstzitate zu hören, haben die Gesangslinien nicht die Prägnanz früherer Alben, wie auch die Band zum Teil in die "Loudness" Fall getappt ist und dynamische Schwankungen in der klanglichen Übersteuerung verschwimmen. Wie bereits von den letzten Alben gewohnt, nehmen die Keyboards fast gar keine Rolle mehr ein, vielmehr vertraut das Trio aus Toronto fast komplett auf die Kraft der Saiten. Doch was dieses Album eben doch zum besten Werk seit den späten 80ern macht, ist die auf gesamte Albumlänge gelungene Balance aus powervollen Melodien und instrumentaler Raffinesse. Rush ist es endlich wieder auf Albumlänge gelungen, gute, wenn auch nicht immer sofort haften bleibende Songs zu schreiben, die zudem noch von einer konzeptionellen Idee, der verträumten Reise eines jungen Mannes durch farbenfrohe Welten, zusammen gehalten werden. Ob es nur an der wiederholten Zusammenarbeit mit Produzent Nick Raskulinecz (u.a. Foo Fighters, Deftones) lag, dass Rush direkter, prägnanter auf den Punkt angekommen losrocken, scheint nur ein Teil der Wahrheit zu sein. Rush klingen wieder frisch und aktuell und dies eben nicht nur für einen Song, sondern im Zusammenhang der insgesamt 12 Tracks. Wenn man sich an den zeitgemäßen, etwas dominanten Sound gewöhnen kann, dann hat man mit "Clockwork angels" sicherlich seinen Spaß.

Kristian Selm



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