CD Kritik Progressive Newsletter Nr.74 (02/2012)
One Shot - Live in Tokyo
(63:33, Soleil Zeuhl, 2011)
Vor zwölf Jahren, 1999, gründeten Keyboarder Emmanuel Borghi und Gitarrist James MacGaw One Shot. Daniel Jeand'heur (dr) und Philippe Bussonnet (b) ergänzen seitdem das Line-Up. Nach dem letzten Album der Band, "Reforged" (2010), trennte sich Keyboarder Borghi von der Band. Ersatz wurde in Bruno Ruder gefunden, der auf "Live in Tokyo" das erste Mal mit One Shot auf CD zu hören ist. Ruder hat eine andere Handschrift als Borghi, spielt weniger jazzig, packt indes auch sehr intensiv und kraftvoll zu, macht von Beginn an einen guten Eindruck und passt perfekt in die Band. "Live in Tokyo" ist die bereits 6. CD der französischen Progressive Jazzrocker mit starkem Hang zum instrumentalen Zeuhl, und die zweite Livescheibe. Die 6 Stücke stammen von allen Platten der Band, Borghi-Kompositionen sind nicht dabei, dafür Songs aller anderen Gründungsmitglieder. Insgesamt bringt es die CD auf 63:32 Minuten, alle Songs sind ausgedehnt gespielt, sehr intensiv, die Musik ist die Droge, das Konzert das Mantra, die Band dem Sound hilflos ausgeliefert. Macht das Album Sinn, wenn alle Songs bereits auf anderen CDs der Band zu finden sind: eindeutig ja! Die Liveversionen aus Tokio sind nicht wenig heftig und komplex und haben enorm Druck (was die ersten Versionen allesamt auch haben), doch da sind vor allem die Gitarrensoli von James MacGaw und das gnadenlose Bandinterplay, das der Band, sieht man sie auf der Bühne, kaum zutraut. Die zugeknöpft wirkenden Musiker gehen kaum auf das Publikum zu, konzentrieren sich komplett auf die Songs und deren meisterhafte Mischung aus Härte, Druck, Komplexität, Monotonie und Energie, legen sich stets extrem ins Zeug und treiben ihre exzellenten Songideen auf der Bühne einmal mehr gehörig in den allerfeinsten Wahnsinn. Erstaunlich, dass mit Bruno Ruder ein ebenbürtiger, technisch hervorragender und stilistisch genau auf Bandlevel liegender Keyboarder gefunden wurde, der sich ungemein einbringt, dass sein Vorgänger, der ein Tastentier vor der Jazzrock-Sucht war (ist...), nicht fehlt. Gibt es davon noch mehr? Und wo leben die alle? Im letzten Track "Monsieur G" ist als Gast Gitarrist Kido Natsuki zu hören, der mit One Shot seit vielen Jahren gut bekannt und befreundet und in der Avantszene Japans viel herumgekommen ist (Bondage Fruit, PON, Korekyojin, Salle Gaveau, The World Heritage, Hoppy Kamiyama) und hier mit abgefahren schrägen Soli seinem Bruder im Geiste (und mit komplett anderer Handschrift ausgezeichneten) James MacGaw kongenial zur Seite steht. Da geht im Avantgarde-Zeuhl-Funk-Jazzrock eine weitere Dimension auf!
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2012