CD Kritik Progressive Newsletter Nr.72 (97/2011)

Noa - Noa
(33:53, Soleil Zeuhl, 1980)

Mit der 33:53 Minuten langen CD präsentiert das französische Zeuhl-Label Soleil Zeuhl das Reissue eines gesuchten Underground-Albums aus dem Jahr 1980. Mitte der 70er Jahre gründeten einige Musiker aus Nantes eine Band, die außergewöhnliche Musikstile, komponierte und improvisierte Musik spielen, Texte und Free Jazz, Gesang und Instrumentalmusik vereinen wollte. Vorbilder waren Henry Cow, Cohelmec Ensemble und Art Zoyd. Alain Gaubert (g, comp), Hervé Quemeneur (voc), Philippe Vincendeau (saxes), Bernard Nicolas (fl) und Christian Robard (dr) spielten wilde Songs mit ausgedehnten instrumentalen Landschaften und atmosphärischen Szenen, die zum Explodieren gebracht wurden. Thematische Brüche, abrupte Rhythmuswechsel und die Stimme als Instrument waren extrem genutzte Mittel, außergewöhnliche und radikale Musik zu erschaffen. Im Mai 1980 ging die Band in Pruillé ins Studio, die sechs Songs aufzunehmen, die nunmehr auf der CD enthalten sind. Quemeneur wurde gegen Claudie Nicolas ausgetauscht. Für die CD wurden die Aufnahmen von Udi Koomran remastert. Der Einfluss von Henry Cow und Art Zoyd ist herauszuhören, die überwiegende Stimmung des Albums ist indes Zeuhl-geprägt. Die überwiegend düsteren, sehr jazzigen Kompositionen werden vom Zeuhl-Gesang Claudie Nicolas' geprägt, die tatsächlich etwas an Dagmar Krause erinnert, viel mehr aber an Eskaton. Noa arbeiten deutlich jazzorientierter als andere Zeuhl-Bands und kreieren in ihren Songs ausgefallenen, extravaganten Jazz/Jazzrock, der in vokalen Passagen deutlich Zeuhl-näher ist als in instrumentalen. Die beiden ersten Stücke sind sehr kurz, "Catastrophe" 1:03, "Repos blanc" 1:52 Minuten lang, kaum bekommen die musikalischen Themen Luft, verpuffen sie wieder. Neoklassik, Free Jazz und düsterer Zeuhl werden in Gänsehaut schürende, von durch Mark und Bein gehenden Dissonanzen durchzogene Songs verpackt. Ein Leckerbissen für Süchtige, werden Uneingeweihte schon mal gut empfangen beziehungsweise verschreckt. Die drei längeren Stücke "Tape tape" (5:12), "Pellerin" (7:24) und "L'oiseau fou" (5:56) sind konkreter, komplexer aufgebaut, haben ausgedehnte, radikale Themen, in denen Xylophone und Vibraphone mit Bass, Gitarre, Saxophon und Gesang gegenläufige und Unisono-Partien spielen. "La mer" (12:32) am Ende der CD ist die grandioseste Komposition, die zum Ende über Minuten in saftigstem Jazzrock aufgeht. Typisch Zeuhl ist der (weibliche) Gesang überaus präsent, allerdings nicht in der stakkativ vorgetragenen Weise anderer Zeuhl-Bands, sondern abstrakter, melodischer, klassischer. Zeuhl-Süchtige dürfen sich auf ein ausgefallenes Stück Musik freuen, das unbedingt gehört werden muss. Wer dem Genre nichts abgewinnen kann oder erste Proben nehmen will, ist hier völlig verkehrt und wird ob der radikalen Musiksprache keinen Zugang finden.

Volkmar Mantei



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