CD Kritik Progressive Newsletter Nr.72 (97/2011)

Mist Season - Reflections
(67:33, Seacrest Oy, 2011)

"Reflections" verhält sich zu "Woodlands" wie ein eineiiger Zwilling zum anderen. Aus der Ferne nicht zu unterscheiden, werden beim Näherkommen die Unterschiede deutlich. Sie sind sich sehr ähnlich, aber sie ticken anders. Mist Season aus Finnland haben ihren Stil. Sie lieben es nicht ekstatisch, sondern nachdenklich, lyrisch, melancholisch. Die zeitlosen, dunklen Songs der Combo sind folkloristisch, elektrisch, progressiv, Easy Listening für Anderstickende, Fernsehpausenhintergrundmusik-verwandt, manchmal etwas sehr einfach gestrickt, dann weitaus komplexer, jazziger, ambienter, lyrischer. Die Qualitäten der Band liegen eindeutig im sanften Bereich, Nordisches verliert sich in Jazz, Folk in Rock, wortlose Stimmen und sphärische Trompetenklänge auf bebend lebendigem Rhythmusfundament in melancholisch-verhangenen Motiven. Jazzrock? Ja! Nicht nur im Santana Cover "Aqua Marine". Parallel dazu das vordergründige, wenig eindrucksvolle "Manaos", das ich, zudem als zweiter Track auf der CD, fast des Platzes (von der CD) verweisen will. Viele Jazzdisharmonien durchfließen die Rockplatte. Das Handwerk der Musiker ist erlesen, jeder Ton erstklassig eingefangen, alles Lyrik, Schöngeist, Innigkeit, Konzentration. Selbst die fetzigeren Stücke, schneller, lauter, knackiger, bleiben im Midtempo-Bereich. Mist Season gehen nicht hart und brutal zur Sache, sondern gemütlich, entspannt, und doch ist nichts einfältig oder blöd. Zwar hat sich "Reflections" ein paar Allgemeinplätze gestellt, funky tunes, die locker und satt in ihre Minuten sprießen, die machen nicht den besten Eindruck, und doch hat die Platte ihren großen Reiz, in den paar kurzen Ambient-Tracks zuerst, das beste Stück ist der gerade einmal 1:50 Minuten lange Opener, Jazz-Fusion auf dem Weg in die Stille, und dann in den 4 bis 7 Minuten langen Tracks, allesamt instrumental, hier und da mit lautmalerischem Gesang ausgestattet, der nur die Harmonie dichter und lichter macht. Die Musiker beweisen ihrem Alter auf dem Buckel, dass sie keine Lust auf schlechten Geschmack haben und trotz Lärmenthaltsamkeit auf Rock aus sind. Sie machen es keiner Szene Recht, nur sich selbst setzen sie zeitlose Denkmale, deren etliche Anteile von großer Ausstrahlung sind. Das Album kann bei cdbaby.com oder seacrestoy.com geordert werden.

Volkmar Mantei



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