CD Kritik Progressive Newsletter Nr.72 (97/2011)
Love de Vice - Dreamland
(41:34, Mystic Production, 2009)
Love de Vice - Numaterial
(46:47, Mystic Production, 2010)
Love de Vice sind Pawel "Ozzie" Granecki (voc), Robert "Robur" Wieczorek (g), Andrzej "Messi" Archanowicz (g), Robert "R.i.P." Pelka (b, acc-g), Krzysztof "Krzychu" Slaby (keys) und Tomasz "Kudel" Kudelski (dr). Die polnische Band macht ihr Bemühen deutlich, Wert darauf zu legen, nicht zu typisch zu klingen, nicht von null auf gleich in eine bestimmte Schublade eingesperrt, nicht als Nachfolger oder Anhänger bestimmter Vorbilder abgestempelt zu werden. Diverse Einflüsse mixen sich im Bandsound. "Dreamland" von 2009 lässt im Gitarrenspiel etwa die Holländer The Gathering zu seligen "Mandylion"-Zeiten erkennen, aber nur in Gitarrenarbeit und Gitarrensound, ansonsten geht die Band eher alternative Wege, arbeitet hochmelodisch, setzt auf nachvollziehbare, eingängige Stücke, die ein paar Ecken und Kanten haben, in denen wenige und kurze, aber nette instrumentale Kleinigkeiten emotionale Höhenflüge absolvieren. Der epische, schleppende Sound hat Groove satt, lässt dezente Pink Floyd Merkmale erkennen, hat mit Progressive Rock eher weniger im Sinn und beißt sich mit eigenen Akzenten fern eingefahrener Spuren fest. "Numaterial" - der Name sagt es - macht alles neu. Die Songs sind symphonischer, progressiver, heftiger, wo "Dreamland" cooler (Alternative-)Rock ist, geht die zweite Scheibe progmetallische Wege, ohne ihre alternativen Wurzeln abzulegen, und ohne je typisch zu klingen. Die Gitarren sind trotz metallischer Härte der neuen Songs oftmals weitaus zurückgenommener als auf dem weniger metallischen, weniger harten und eher rocktypischen Vorgänger, der Bandsound setzt auf druckvollen, heftigen, fetten Bombast mit verschleppter, kratziger Note im Off, der enormen Druck macht, in dem stets ein feines Gefühl von Nachdenklichkeit bleibt. Da sind Gitarrensoli zu hören, die jazzige Spuren durchlaufen; instrumentale Weiten machen sich auf, wie sie "Dreamland" niemals präsentierte. Im letzten "Letter in 'A' Minor" treibt die Band ihr episches Spiel bis über 13 Minuten; die wie ein Mantra in sich verschlungene, stets aufs Neue sich abspulende Komposition baut diesen epischen Charakter aus, der in der Rockhistorie schon einige längere und lange Songs zu Klassikern gemacht hat, etwa "Atlantis" von Donovan oder "Hey Jude" von den Beatles. Die Band spielt erheblich komplexer als auf ihrem Debüt, ohne die Songs zu komplexen Progressive Rockern werden zu lassen. Stets bleibt das liedhafte Format bestimmend. Alles dreht sich um den Gesang, bis auf die Instrumentalpartien, in denen die Band nicht alle Fäden fahren und die wilde Sau toben lässt, sondern sphärisch-emotionale Partien ansprechend ausbaut. Besonderes Merkmal ist die Geigenarbeit des Gastes Michal Jelonek in einigen Songs; die Sitar in "Love or illusion" erinnert eher an die entsprechenden Arrangements der Beatles als an für das Instrument klassische Vorbilder. Beide Alben sind hervorragend produziert, haben kraftvollen, sensiblen Klang voll satter Tiefen, klarer Höhen und zurückgenommener Mitte. Prog-Fans alter Schule werden mit beiden Alben kaum etwas anfangen können, während New Artrock Jünger eine ungewöhnliche Band entdecken, deren Bemühen, eigenen Bandsound zu entwickeln, nie bemüht oder angestrengt klingt. Vom neuen Album bringt die Band eine Single auf den Markt, auf der die eingängigen Albumsongs "Hermit" als lässiger Rocker und "With you now" im balladesken Kleid mit dem Non-Album-Track "Rebbeca" für das Album werben.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2011