CD Kritik Progressive Newsletter Nr.72 (97/2011)
Herba D'Hameli - Girafes a Sibèria
(49:40, Privatpressung, 2011)
Nachdem ich durch ihr Vorgängeralbum "Inversa visual" den ersten erfreulichen musikalischen Kontakt zu den Katalanen bekam, orderte ich nach einer Email-Information ihres Schlagzeugers Guillem Roma die aktuelle Scheibe ebenfalls wieder direkt bei der Band. Wie schon auf "Inversa visual" führen einen die fünf Musiker auch auf "Girafes a Sibèria" durch gekonnt inszenierte sinfonische Klanglandschaften, wobei ein Hang zu jazzigen und folkigen Anwandlungen nicht zu überhören ist. Die folkorientierte Färbung wird durch den angenehmen spanischen Gesang ihres akustischen Gitarristen Ricard Rius bestärkt, wodurch die progressiven Klänge der Spanier eine sehr authentische Ausstrahlung erhalten. Leider ertönt das gekonnte und bereichernde Flötenspiel von Guida Maymó nicht mehr auf der aktuellen Scheibe, da er die Band verlassen hat Prägend sind auf dem 50-minütigen Werk viele melodisch-sinfonische Tonreigen, die von einem gleichberechtigten Keyboard- und Gitarrenspiel gekennzeichnet sind. Im Eröffnungstrack "Miradors" zeigen Herba d'Hameli direkt das komplette Paket eines hörenswerten Neo Prog-Longtracks, der auch auf den Spuren des klassischen Artrock wandelt. Vom fröhlich-harmonischen Beginn mit vordergründig lebendigen Tasten- und Gitarrenklängen werden mit steigernder Instrumentendichte auch die Geschwindigkeit und der Rhythmus oftmals gewechselt, sodass mit einigen stimmungsvollen Sololäufen der Tasten- und Saitenkünstler sowie vereinzelter Chorgesänge alles geboten wird, was ein Sinfonikproggerherz höher schlagen lässt. Damit es nicht zu gleichförmig wird, werden auf "Avui Pollastre" erst mal etwas sperrige Klänge mit zappaesken Anwandlungen geboten, wobei die Komposition sich anschließend aber wieder in einer harmonischen Grundstimmung mit kleinen Ausbrüchen wohl fühlt. Der nächste Longtrack "Oficis per una llebre" weiß mit einer gefälligen Mischung aus temperamentvoller und lieblich-sonorer Darbietung aufzuwarten, wobei im Mittelteil geschickt die Wandlung in jazzige Melodien erfolgt. Hierzu werden auch noch weibliche Lautmalereien serviert, sodass der Crossover-Prog mir richtig gut gefällt. Auf dem kurzen "Girasol" werden feinfühlige akustisch instrumentierte Töne mit Mellotronteppich geboten, bevor es mit dem nahtlos anschließenden Titeltrack "Malastruc (Girafes a Sibèria)" wiederum mit abwechslungsreichen Rhythmusstrukturen zum Ende der Klangreise kommt. Auch auf dem Schlussstück überwiegt der sinfonische Wohlklang mit reichhaltigem Tastenpaket inklusive Mellotronwolken und hörenswertem Gitarrenspiel. Da werde ich schon mal an die frühen Genesis und Camel erinnert. Und im Mittelpart darf es auch mal rotzig rocken und etwas schräger zugehen. Zwar spielen Herba d'Hameli ihren Sinfonikprog nicht mehr so stark mit folkigen und jazzigen Tonfolgen durchtränkt wie auf ihren bisherigen Veröffentlichungen, aber die musikalische Spannung in den Kompositionen bleibt ihnen weiterhin erhalten. Erfreulich ist außerdem festzuhalten, dass die private Pressung ansprechend aufgenommen wurde und das Booklet mit seinen surrealen und naiven Motiven zusätzliche optische Freude bereitet. Obwohl ich bei den gedruckten katalanischen Worten rein gar nichts verstehe, sprechen aber die Bilder und die Musik für mich mehr als manche Bände. Fall es keinen Vertrieb dieser ansprechenden Scheibe in Deutschland geben sollte, können Interessierte eine Bestellung direkt bei der Band aufgeben.
Wolfram Ehrhardt
© Progressive Newsletter 2011