CD Kritik Progressive Newsletter Nr.72 (97/2011)
Apocalypse - The 25th anniversary Box Set
(76:33 + 79:23 + 61:15, Musea, 2011)
Welch opulentes und auch visuell überzeugendes Werk gönnen die brasilianischen "Vorzeige-Sinfonikprogger" ihren Fans und den Interessierten der anspruchsvollen Rockmusik. Hiermit bietet die Band um den Tastenvirtuose Eloy Fritsch ein wunderbares Gegenstück im Zeitalter von iPod und Download. Es wäre den Brasilianern zu wünschen, die in ihrer Heimat häufiger vor 3000 - 5000 Zuschauern auftreten, dass ihre Kreativität und ihre Mühen auch von der Progwelt außerhalb Brasiliens beachtet werden würde Denn Apocalypse feiern ihren 25-jährigen Geburtstag mit einer 15 cm x 26 cm x 2,5 cm großen bunten Pappbox. Hierin findet man ein 128-seitiges Taschenbuch (14 cm x 25 cm x 1 cm) über die Bandbiographie in portugiesischer und englischer Sprache sowie mit vielen schwarz-weiß Aufnahmen, ein buntes Poster von 40 cm x 28 cm, eine DVD von ihrer "The bridge of light Tour 2009", eine Live CD von alten und neuen Kompositionen ihrer 2005er "Magic Tour" und das brandneue Studioalbum "2012 Light years from home" (welch süffisanter Titel - es hat aber nichts mit dem 67er Stones Output zu tun). Insgesamt bekommt man einen reichhaltigen Überblick über die Schaffenszeit der Progger geboten, sodass sowohl altbekannte Apocalypse-Kenner als auch Neueinsteiger von der Box nicht enttäuscht sein dürften. Allerdings bieten Apocalypse einige frühere Songs, die noch in Portugiesisch gesungen wurden, nun mit englischsprachigem Gesang. Musikalisch sind die Musiker aus der 420.000 Seelen Stadt Caixas Do Sul tief in der sinfonischen Progwelt verankert, was durch die Klangnähe zu Bands wie Marillion zur Fish-Ära, Yes oder Camel zu hören ist. Zuweilen gleiten sie in AOR-gemäße Tonreigen über oder lassen es wie Uriah Heep oder Deep Purple schon mal richtig krachen. Was ich diesen drei neuen Ton- und einem Bildträger vor allem zu gute halte, ist die wesentlich professionellere Performance der Band im Gegensatz zu den Veröffentlichungen der 90er Jahre und zu Beginn des neuen Jahrtausends mit einer erheblich verbesserten Tonqualität der Aufnahmen. Man könnte auch sagen, sie haben insgesamt in der ersten Progrockliga an Bands wie Arena, IQ, Pallas oder Pendragon aufgeschlossen Trotz einiger rockiger und floydscher Anwandlungen, die von den Gitarrenklängen geprägt sind, dominiert das facettenreiche Keyboardspiel von Mastermind Eloy Fritsch, der stark von Keith Emerson und Rick Wakeman beeinflusst wurde. Obwohl reichhaltige Instrumentalparts die Musik prägen, spielt der ausschließlich englischsprachige Gesang keine unbedeutende Rolle. Ihr aktueller Sänger und Flötist, Gustavo Demarchi, macht seine Sache, trotz häufig zu hörendem Akzent, für meinen kritischen Gesangsgeschmack recht ordentlich. Er kann sogar oftmals richtig gut shouten und in einigen Phasen erinnert er mich von seinem Timbre dann wieder, mit einem Lächeln auf meinen Lippen, an einen gewissen Stefan Danielak alias Willi Wildschwein oder auch an Fish. Aber Demarchi hat insgesamt, als zwischen Rocksänger und AOR Shouter wandelnder Frontmann, eine überzeugendere Stimme als der Grobschnitt-Sänger. Die Reise durch die Retrospektive von Apocalypse wird durch die ordentlichen Aufnahmen der 76-minütigen DVD (mit mittelprächtigem Klang und einigen feinen Violinen- und Flötenklängen) sowie der abwechslungsreichen 80-minütigen Live-CD mit gutem Sound ansprechend umgesetzt. Außerdem wird die Neugierde auf eine Bestandsaufnahme der Band im Hier und Jetzt mit dem beigefügten neuen Studioalbum gestillt. Auch die 61 Minuten auf "2012 light years from home" sollten für die Progliebhaber der vielen vorgenannten Bands und Künstler zu keiner Enttäuschung geraten. Denn der aktuelle Studio-Output kann ebenfalls Abwechslung, Seele und Virtuosität garantieren. Einige klassische Inspirationen wie bei ELP oder Triumvirat, härtere Rockrhythmen, balladeskes und pompöses Klanggut sowie überwiegend sinfonische Kompositionsgüte mit gekonnter Instrumentenbehandlung kennzeichnen die neue Studioscheibe. Sie wird übrigens auch einzeln von Musea vertrieben und zählt für mich zu ihrer bisher gelungensten Veröffentlichung. Brasilien weist in der Kunst der progressiven Rockmusik mit Apocalypse und ihrer 25th anniversary Box ein empfehlenswertes Exportgut auf. Hörbeispiele findet ihr bei MySpace oder auf der Homepage der Band.
Wolfram Ehrhardt
© Progressive Newsletter 2011