CD Kritik Progressive Newsletter Nr.72 (97/2011)

Tokamak - Tokamak
(29:32, Privatpressung, 2010)

Tokamak, junge französische Band aus Marseille, existieren seit 2005, produzierten aber erst 2010 ihre erste Scheibe, die hier vorliegende EP mit vier Titeln und einer knappen halben Stunde Spielzeit. Es wird kolportiert, dass für den Herbst 2011 die Veröffentlichung einer CD mit ca. 10 Songs, also mit Albumcharakter, geplant ist. Zuletzt eröffneten Tokamak übrigens das ProgSud-Festival 2011 als "Lokalmatadore". Nach allem, was der Hörer auf der EP geboten bekommt, darf man auf den Longplayer durchaus positiv gespannt sein. Denn was die Franzosen mit klassischer Prog-Besetzung stilistisch zu bieten haben, lässt sich recht gut an. Als musikalische Referenzen werden auf der Website der Band eine Unmenge bekannter und auch weniger bekannter Bands angegeben, was eine Einordnung zunächst nicht gerade erleichtert. Auffallend ist aber, dass zum Einen die lange Liste mit Porcupine Tree beginnt und andererseits die Landsleute Lazuli sogar doppelt genannt sind. Fehler oder nicht: da kommen wir der Sache schon deutlich näher. Tokamak spielen einen recht abwechslungsreichen Mix aus härteren Riffs, die auch schon mal Riverside ein wenig näher stehen, und stark melodischen Parts, die mittels sanfter Keyboardteppiche und feinfühlig-elegischen Gitarrensoli für emotionalen Kontrast sorgen. Emotionen und Melodien stehen demnach sehr eng neben einigen Ecken und Kanten, die auffallen, obwohl Bass und Schlagzeug deutlich akzentuierter eingesetzt werden dürften, hier möchte man zu etwas mehr "Fett" auffordern. Stark insbesondere die beiden ersten Stücke, die mit einer Mischung aus Art Rock, Retro Prog und ein wenig AOR-Metal aufwarten und keine Langeweile aufkommen lassen. Wenn es Tokamak gelingt, hier anzuknüpfen, dann wird die Truppe ein ernsthafter Konkurrent von Lazuli in der Gunst der Prog-Anhänger französischer Prägung. Die beiden folgenden Tracks fallen zwar nicht wirklich ab, es fehlt ihnen aber etwas der nötige Drive durch die Rhythmusfraktion und auch in den Arrangements steckt nichts Aufsehen erregendes. Abschließend ein Wort zum Gesang: ich bin kein ausgesprochener Freund der französischen Sprache im Bereich Prog Rock. Die meisten Stimmen französischer Sänger eignen sich meines Erachtens eher für Chansons oder sonst was, und mit JP Louveton's Nemo kann ich aus genau diesem Grunde nichts anfangen, mit Lazuli geht es für meine Ohren nicht wesentlich besser. Umso erfreulicher ist für mich daher die Erkenntnis, dass bei Tokamak ein Sänger agiert, der nicht nur eine angenehme Tonlage aufweist, sondern auch zu den musikalischen Präsentationen der Band passt. Die poetisch gefärbten Songtexte gehen dank Sänger Jorge Dias klar und gut verständlich ins Ohr. Lange habe ich keinen Sänger in französischer Sprache als so "passend" empfunden wie Dias. Oder liegt es daran, dass er - so könnte sein Name verraten - gar kein "waschechter" Franzose ist??? Allen an Prog französischer Herkunft und Prägung Interessierten sei durchaus empfohlen, sich über die Band - Homepage einen Eindruck von Tokamak zu verschaffen. Ansprechendes Debüt!

Jürgen Wissing



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