CD Kritik Progressive Newsletter Nr.71 (04/2011)
[bleu] - Sincère autopsie de la finesse
(38:55, Noir Productions, 2010)
Einmal mehr einen schönen Gruß an die belgischen Kollegen vom Prog Résiste, die nicht nur jährlich ein wunderbares Festival im "Spirit of 66" in Verviers veranstalten, sondern die ebenso immer wieder in ihrem Heft auf interessante Acts aufmerksam machen. Damit wäre auch ein Geheimnis gelüftet: nicht alle Neuentdeckungen im PNL beruhen nur auf der eigenen Schatzsuchmentalität nach neuen, interessanten Bands, sondern man nimmt natürlich auch gerne die kollegialen Entdeckungen der schreibenden Zunft auf, um sich selbst von den Qualitäten von den sprichwörtlich bisher unbeschriebenen Blättern zu überzeugen. "Sincère autopsie da la finesse" ist von Beginn an ein Album, das sich nicht so recht in ein bekanntes Schema pressen lässt, das jedoch über eine ganz eigene Faszination bzw. Ausstrahlung verfügt. Mit Worten ist nur schwerlich zu beschreiben, was man hier zu hören bekommt. So dauert es z.B. bis zum dritten Track, bis endlich mal mit wuchtiger Dynamik gearbeitet wird. Davor haben vor allem sachte, mal energische Pianotöne das Sagen, wird die Musik vor allem von der Atmosphäre getragen. Trotzdem geht beim Opener "Temps temps temps temps temps" richtig gut die Post ab. Vermehrt sind es jedoch fragile Töne, sorgsam eingesetzte Dynamik, die in einer unglaublichen Intensität und Power das Geschehen prägen. Wunderbare Klänge, die mit spannenden Harmonien irgendwo zwischen kunstvoller, moderner Rockmusik, zeitgemäßer Klassik und sehr leichtem Jazz Rock Touch, aber auch leichten elektronischen und Post Rock Einflüssen wandeln. Mal fühlt man sich an Radioheads monumentales Werk "Kid A" erinnert, dann fließt wieder die Zerbrechlichkeit von Sigur Rós ein, sind ebenfalls Ähnlichkeiten zu Jaga Jazzist vorhanden, aber trotzdem wirken [bleu] immer originell und sehr eigenständig. Die Ähnlichkeiten treten nur für kurze Augenblicke auf, ansonsten ist man in einem ganz eigenen Kosmos unterwegs. Es passiert leider in letzte Zeit viel zu selten, dass ein Album eine solche Faszination und ergreifende Eigenständigkeit ausübt. Waren im letzten Heft Jazz Kamikaze die echte Überraschung, so dürften dieses mal [bleu] sehr gute Chancen für diesen Titel haben. Ein nicht alltägliches Album zum genauen Hinhören, fernab von typischen Klischees und Erwartungshaltungen. Zum Glück verfügt die Formation über eine MySpace Seite, bei der man selbst einen eigenen Eindruck gewinnen kann.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2011