CD Kritik Progressive Newsletter Nr.68 (03/2010)
Mike Keneally - Scambot
(66:48, Exowax Recordings, 2009)
"Scambot" könnt ihr lesen und hören. Die, typisch Keneally, schrullige Story ist im Booklet abgedruckt, von Keneallys chaotischen Zeichnungen verschönt. Seine Handschrift ist nicht nur musikalisch exklusiv und extravagant, erlesen und kunstfertig. Die schräge Story zur Platte hat wie die Musik eine Parallele: den ehemaligen Arbeitgeber Keneallys. Frank Zappa war ihm nicht nur Inspiration (was dieser erkannte und würdigte). Mike Keneally ist gleicher künstlerischer Natur. Seine Stories und Songs laufen grandios gegen den Strich, machen sich über den täglichen Quatsch und Mainstream lustig, scheitern an jeder Ecke und machen trotzdem einfach weiter. "Scambot" ist von Anfang bis Ende rasanter, wahnwitziger, fröhlicher und ehrlicher, feinsinniger und schräger Spaß. Wo die Story mit blitzschnellen, urkomischen Wendungen und eigenwilliger Sprache ihre belebende Wirkung hat, macht dies die Musik neben den Lyrics mit vielseitiger, instrumentaler Schräglage, die Potential für etliche Runden hat. Mike Keneally hat seine eigene Musiksprache, die zahllose Einflüsse hat, diese aber ungemein gut in Keneally übersetzt. Bis auf konkrete vertrackte Zappaismen, die hier und da zu hören sind, können sonst nur stilistische Parallelen ausgemacht werden. Keneally nimmt zahlreiche Stilmittel auf, seine ungewöhnlichen, sich vielfach brechenden Songs zu illustrieren. Jazz, Funk, Rock, Jazz Rock, progressive Komplexe, akustische Folkideen - alles nur Mittel, seine kompositorische Handschrift in Sound zu übersetzen. Manches Stück ist heftig und rasant, hat instrumentale Radikalität, ist experimentierfreudig und genau der instrumentale Stoff, aus dem progressive Träume sind. Daneben gibt es liedhafte Parts, in denen er, auf ebenso ungewöhnliche, aber eingängige Weise seine Texte transportiert. So ist "Cold hands"' Akustikgitarrenliedhaftigkeit für Mainstream-Hörer sicherlich seltsam, für Spezialisten jedoch eher gewöhnlich. Nach den knapp zwei Minuten folgen die 8 abgefahrenen von "We are quiet children". Jazz Rockintensität mit dem typischen Keneally-Faktor: alles ist kurz vorm Bersten, Explodieren, die emotionale Einspielung wühlt sich dramatisch aus den Boxen, bis die Energie auf einen anderen Level kippt und Schlagzeuger Marco Minnemann zum Mittelpunkt wird, was Keneally antreibt, seine Gitarre einzustöpseln und allerfeinst schrägen Jazz Rock zu erschaffen. Immer, wenn es instrumental wird, wird es abgefahren, schräg und heftig. "We are quiet children" ist zum Verrücktwerden schön, genau der Stoff, aus dem Hinhören erfunden wurde. "Foam" schließt sich pausenlos an, die traumhafte Energie auf melancholischem Level weiterzuführen und in mir wuchert das Gefühl, ohne Unterlass diesen grandiosen Sound weiterhören zu wollen. Mike Keneally hat unzählige Facetten, sein instrumentales Musikverständnis erschafft überwuchernde Assoziationslabyrinthe, seine rhythmischen Forcierungen und Entspannungen, sein solistisches Gespür, seine kompositorischen Ideen - stets gibt es detailreiche Partien zu entdecken und genießen, deren Hormone und Vitamine immer schrägere Sounds produzieren (etwa im zwölfminütigen "Gita", das wie eine Komik-Kopie daherkommt, die Humor als Düsternis verkaufen will - schrullig, und auf extrem hohem musikalisch-künstlerischen Niveau). Die Vokalparts haben ebenfalls ihre Schräglage, sind aber deutlich eingängiger, zudem instrumental leichter und sanfter begleitet. Zwei unterschiedliche Facetten, die in manchem Song zusammen gehen, getrennt aber am wirksamsten sind. Der instrumentale Keneally ist mir deutlich sympathischer, weil schräger und extravaganter, wilder und radikaler. Der vokale Keneally ist für Textfreaks wohl der bessere Part. "Scambot" (66 Minuten) hat nicht die geniale Handschrift von "Dancing", wo die instrumentalen Verrücktheiten in pikobello großartigen Songs aufgehen. Eher zeigt sich eine melancholische Nonchalance mit seichtem nostalgischen Flair, die eine leicht bittere Schwere transportiert, als sei die künstlerische Musikfindung neben Erfüllung viel Qual, oder besser, das ganze Drumherum, das Verkaufen, Internetseitenaufbauen und Newsletteremailversenden zeitaufwendig und die große Plage, die aber für das Einkommen sorgen und für die Präsenz im Bewusstsein der potentiellen Fans. Trotz der leicht bitteren Note ist "Scambot" ein virtuoses, hinreißendes, großartiges Album, lebhaft, humorverseucht. Keneally hat's einfach drauf. Gibt es auch als Special Edition mit zweiter CD (53 Minuten).
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2010