CD Kritik Progressive Newsletter Nr.68 (03/2010)
Wind - Seasons
(41:43, Long Hair Music, 1971)
"Seasons" feierte vor einigen Jahren bereits seine Wiederauferstehung auf CD. Die Auflage ist längst ausverkauft, im Internet werden einzelne Reste im Stückpreis von 80 Euro angeboten (!). Das hat jetzt ein Ende. Zum Ausklang 2009 wurde das begehrte Krautrock-Werk von Long Hair in der originalen Aufmachung auf LP neu aufgelegt, im Januar 2010 legte das Label die CD nach. Sammler können sich freuen, die LP ist erstklassig gepresst, hat den hervorragend satten Sound der guten alten Rille. Ob die 1971er Billig-Auflage so gut klingt? Der LP liegt ein Platten-großes Booklet bei, das die Wind-Geschichte in deutscher und englischer Sprache ausführlich nacherzählt, die Band auf etlichen Fotos präsentiert und - nicht zuletzt - den urigen Bandbus abbildet. Gewiss werden die Sammlerherzen höher schlagen, wenn die Platte (das Cover im festen, stabilen Karton) vor ihre Augen kommt und wohlgewichtig in ihren Händen wiegt (ein paar ganz Konservative werden doch nur das 1971er Album haben wollen - weil diese Produktion - neu - ist). Es gibt keinen Grund mehr, zuviel Geld für die LP auszugeben. Die Qualität der Neuauflage ist ganz und gar und in allen Facetten beeindruckend. Eine embryonale Version von Wind gab es seit bereits 1964 unter dem Namen 'Bentox', und schon die waren Lokalmatadoren in ihrer Heimatstadt Erlangen. 1969 ging die Band auf eine finanziell desaströs endende Ostasien-Tournee, was fast ihr Untergang gewesen wäre, Details dazu sind im Booklet nachzulesen. In Deutschland zurück ging die Band einen Plattenvertrag ein und spielte unter dem Namen 'Corporal Gander's Fire Dog Brigade' Songs für eine Platte ein, die für 5,00 Mark angeboten wurde. Im Anschluss legte die Band sich den Namen 'Chromosom' zu. 1970 boten Thomas Leidenberger (g, voc), Andreas Büeler (b, voc), des Letzteren Zwillingsbruder Lucian (org, p, voc, perc) und Lucky Schmidt (dr, perc, vib, cl, p) der Rockröhre Steve Leistner (lead voc, harm, fl, perc, ?Schlotteria') den Posten als Lead-Sänger an, was dieser in Aussicht auf den Status des Profimusikers gern annahm. Steve Leistner war zuvor bei den Nürnbergern 'Faction' gewesen. Und damit die neue Belegschaft sich ganz und gemeinsam in der Band wohl fühlte, griff man noch einmal zu einem neuen Namen, der mit 'Wind' schließlich dauerhaft verbleiben sollte. Im Januar 1971, justament 39 Jahre ist das jetzt bereits her, spielte die Band im legendären Studio von Dieter Dierks innerhalb von 14 Tagen die 6 Songs ihrer am 1. Juni des Jahres vor geladener internationaler Presse präsentierten LP "Seasons" ein. Am Tag zuvor stand Wind auf dem Burg Herzberg Festival auf der Bühne, was sie heute noch könnte, das legendäre Festival hat noch nicht aufgehört, jedes Jahr seine Neuauflage zu feiern. In der Musikhalle in Hamburg war das Publikum begeistert, Wind spielten die örtlichen Bands des Tages an die Wand, die Presse war hingerissen (das Hamburger Abendblatt: "Wind bläst Can von der Bühne"). Die erste LP-Seite beginnt mit dem stampfenden Orgel-Rocker "What do we do now". Über 8 Minuten jagt die Band durch die verschiedenen Themen, es gibt Soli satt, nachdenkliche Einbrüche, die von feinem Flötenspiel und akustischer Gitarre betont werden, während die Orgel dramatische Akkorde ins Off malt. Die fette, rasante Rhythmusabteilung donnert mit Verve durch die Minuten, heftige Rhythmusbrüche verführen zum Haareschütteln ('Mäcke' hieß das damals in meiner Dorfstraße) (die Band selbst dürfte kein wildes Mäckeschütteln zustande gebracht haben, vier Fünftel der Band haben den quasi unkämmbaren Rundum-Locken-Look, den auch der beste aller Hendrixe pflegte) und die Orgel jault und dröhnt grandios! Darüber legt die Gitarre ein schneidend scharfes Solo, im Opener geht die Post ab. Im balladesken "Now it's over" zittert die Stimmung des ersten Stückes noch nach, während die sanften Soundmoleküle ihre Wohlfühleinheiten verteilen, "Romance" bleibt atmosphärisch ähnlich, wird lyrischer und melodischer. 7 Minuten "Springwind" haben episches Flair. Das Motiv springt von sanfter Lyrik in nervöse Hektik über, und stets bleibt trotz aller gut durchgearbeiteten Struktur und heftiger Rhythmusarbeit die nachdenklich Note wie edle Patina über dem Song stehen. Nach 21 Minuten erster LP-Seite in 4 Songs folgen die 20 der zwei letzten Songs. "Dear little friend" ist ein typisch fetter Orgelrocker mit grandiosem Gesang. Hart und schwer, rhythmisch wie ein Wirbelwind, heftig und laut - die 4 Minuten sind schnell vorüber. "Red morningbird" gönnt sich 4 Sekunden, unter 16 Minuten zu bleiben (posen ist nicht). Ein nachdenklich-lyrisches Motiv eröffnet die lange Rille, Vogelgezwitscher im Off, akustische Gitarre im Vordergrund, und die Mundharmonika spielt das Lied vom Tod. Die psychedelische Note schwebt leicht wie eine Feder vorbei, von dezentem Vibraphon angehoben. Schön gemacht. Doch dabei bleibt es längst nicht. Steve Leistner singt über dem zarten Motiv mit kratziger Rockröhre und schließlich nimmt das Motiv Fahrt auf, wird zum heftigen Rocker. Frumpy haben damals gewiss ganz genau zugehört und daraus ihre 'Gypsy-Geburt' gemacht. Die Heavyness bricht wieder ein, das lyrische Thema schwingt weiter, bis zum nächsten Ausbruch. Die knappen 16 Minuten sind fett gefüllt, dazu stellt euch vor das große Fenster und schaut dem Schneesturm über dem nahen Bodden zu. Sehr eindrucksvoll. Ein Jahr darauf legte Wind ein weiteres Album auf. "Morning" war weitaus sanfter und folkiger. Die LP verkaufte sich jedoch trotz billigen Preises überaus schlecht und die Band machte Bankrott. Bis heute sind die Musiker der Musik auf verschiedene Weise treu geblieben, was nicht nur heißt, das sie an Schneesturm-Tagen am Bodden ihre alte Platte hören.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2010