CD Kritik Progressive Newsletter Nr.66 (09/2009)
Nichelodeon - Cinemanemico
(54:45, Privatpressung, 2008)
Nichelodeon ist ein Avantgarde Projekt, das verschiedene musikalische Stile in sich aufnimmt und auf unnachahmliche Weise absorbiert. 2007 als kommunikative Band von Francesco Zago (el-g), Maurizio Fasoli (p, readings), beide sind in der Progressive Rock Band Yugen und mit dem Jazzmusiker Riccardo Di Paola (synth), der hier ebenfalls mitarbeitet, aktiv, und Claudio Milano (voc) entstanden, sagt schon die ungewöhnliche Besetzung einiges. Elektrische Gitarre, Piano und Synthesizer weben das instrumentale Geflecht, auf dem sich der Sänger und alleinige Komponist Claudio Milano auf extravaganten Gesangslinien, mit ausdrucksstarkem Gesang, mal lyrisch, mal hart, mal nahe an geradeso zu ertragender Stimmführung, wenn es aufgeregt und laut wird, dann romantisch und zart wie im lyrischen Italo Prog bewegt. Der dritte Track, "Lascia ch'io pianga" ist eine Komposition von Georg Friedrich Händel, Francesco Zago hat "La mosca stregata" und "Flower of Innocence" geschrieben, alle weiteren Kompositionen stammen von Sänger Milano. Die Arrangements um seine Stimme hat die Band gemeinsam entworfen, es hat den Anschein, das instrumentale Trio hatte nur rudimentäre Kompositionsfiguren, die es improvisativ und situativ gemeistert hat. Alle Sounds sind dem Gesang unterworfen. Das Piano spielt die Basismotive und macht die Songs für den Hörer nachvollziehbar, Gitarre und Synthesizer umwirbeln mit spacigen, psychedelischen Sounds Stimme und Piano. Am anspruchsvollsten ist das knapp 10 Minuten lange "La torre più alta". Mehrere Stimmlagen übereinander, die verschiedene Motive singen, eröffnen mit erheblicher Schräglage den Song. Bombastische, dabei harmonisch eingängige, aber laut und hart gespielte Melodiearbeit macht den Song nervös, an verschiedenen Punkten macht sich der Eindruck breit, die Band entwerfe chaotischen Free Jazz, um immer wieder von den Höhepunkten ins unruhig mäandernde, aber leichtere Bombastgeschehen runter zu fahren. Italienische Stimmungslagen vom aufgeregten Durcheinander zum melancholischen Lyric-Pool greifen ineinander, es geht auf und ab, gar eine graziös klassische Note entfaltet sich, die aufgeregter Lebhaftigkeit weichen muss. Die Songs sind in den vergangenen 11 Jahren geschrieben und an verschiedenen Orten aufgeführt und aufgenommen worden. Gesprochener Text und Videoinstallationen haben die Aufführung partiell begleitet, wie ebenso kreatives Theater. Für Avantgarde Verhältnisse ist "Cinemanemico" ein gemäßigtes Werk, das an Intensität keinen Mangel lässt, bis auf wenige Partien weder besonders Free Form auftritt noch lasch oder bieder wirkt, sondern eher Kunstcharakter trägt und geniale Züge zeigt, wenn der Hörgenuss auch keine leichte Sache ist, was vor allem im starken, nicht immer eingängigen Gesang der Zentralfigur Claudio Milano liegt, dessen Stimme vor allem in lautem Gesang eine kratzige, anstrengende Note bekommt. Und davon hat es genug. Dennoch, nichts ist zu schräg oder atonal, um die ungewöhnliche Kunstmusik hören und genießen zu können. Für Gewöhnte. Für 10 Euro ist die CD direkt bei Claudio Milano unter der Adresse http://www.claudiomilano.it/ zu ordern.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2009