CD Kritik Progressive Newsletter Nr.66 (09/2009)

Amygdala - Complex combat
(46:53, Soleil Zeuhl, 2008)

2004 überraschte das japanische Duo Yoshiyuki Nakajima (p, org, key, b, voc) und Yoshihiro Yamaji (g, voc) mit seinem selbstbetitelten Debüt. Der avantgardistische Progressive Rock hatte nur ein Manko: kein "echtes" Schlagzeug. Das ist nun behoben, an der Einspielung der 5 Songs für den Nachfolger "Complex combat" ist One Shots grandioser Extremtrommler Daniel Jeand'heur beteiligt. Und von seiner Art bedarf es in den radikalen Extremkompositionen auch den Trommler. Die Songstrukturen sind sprunghaft, sehr wandlungsfähig, haben heftige rhythmische Sprünge und motivische Wechsel, scheinen partiell beliebig und atonal. Erst nach mehrmaligem Hören eröffnet sich eine Struktur, die logisch schwer nachzuvollziehen ist, und dennoch überzeugt. Als Gast ist Kenichi Oguchi gelistet, der in zwei Tracks Synthesizer-Soli beiträgt. Die kompromisslose Härte und scharfe Würze der Themen und ihre disharmonische Prägung sind die Besonderheit. Die Wirkung, erst einmal verdaut, ist grandios und fabelhaft. Amygdala zeigen sich keine Sekunde ermüdet, wie auf ihrem Debüt rattern und donnern die schweren düsteren Themen in langen Songs aus den Boxen. Dabei mischen sich dunkle Monotonien mit rasanten Komplexsprüngen, schnelle Motive mit schweren langsamen, melodische Motive mit dissonanten Themen. Amygdalas avantgardistischer Progressive Rock zeigt viel Sympathie für atonale Neue Musik, ohne einem Komponisten besonders nahe zu sein. Vielleicht sind Olivier Messiaens rhythmische Kompositionen und Claus-Steffen Mahnkopfs Neue Komplexität Annäherungspunkte, doch wenn, dann nur marginal. Ebenso großen Anteil haben Frühsiebziger King Crimson, Magma, Univers Zero und Present sowie die artverwandte Szene um die Szenefundamente. In aller Komplexität, die rhythmisch nicht durchgängig strukturiert ist und dem Schlagzeuger erheblich viel Phantasie und Verständnis für die freie Kompositionsweise abverlangt, sind besonders die grandiosen solistischen Partien der Gitarre, der Keyboards und des Schlagzeugs auf der Basis eben dieser freien, thematisch wechselhaften Struktur interessant. Die aufgewühlt virtuose Eleganz der radikalen Themen, darüber ein rasantes Gitarrensolo - bitte mehr davon! Für Freunde atonaler Avantgarde Spielart ist "Complex combat" - wie das Debüt der Band - gewiss sehr kurzweilig und von großem Interesse. Noch mal: Kaufrausch!

Volkmar Mantei



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