CD Kritik Progressive Newsletter Nr.64 (02/2009)
Lüüp - Distress signal code
(57:40, Musea, 2008)
An Anfang stand eine Empfehlung vom Moonjune-Labelboss Leonardo Pavkovic (dessen Label ich sehr schätze, weil es ein paar meiner Favoriten der letzten Jahre vorbildlich betreut) und es stand der Name David Jackson (Ex-Van der Graaf (Generator)). Beides machte mich neugierig auf dieses Album des griechischen Künstlers Stelios Romaliadis, der für das Projekt den Namen Lüüp (von Loop) wählte. Wie gut, dass man sich eben manchmal doch auf seine Sympathien verlassen kann: "Distress signal code" ist einer der interessantesten Neuerscheinungen aus dem Ambient-/ Experimentelle Musik-Bereich und zwar nicht nur wegen des großen David Jackson, der mitwirkt, sondern vor allem wegen der schönen Klänge und Melodien, die Romaliadis komponiert hat. Das Album beginnt mit dem ruhigen 'Through Your Woods', einem der vier Gesangsstücke auf dem Album, gesungen von der schwedischen Sängerin und Multi-Instrumentalistin Lisa Isaksson, deren zurückhaltendes Timbre perfekt zu den Querflöten-Klängen passt, die es begleiten. Ein poetischer, sehr gelungener Opener, weil er auf das, was nun auf dem Album folgt, gut vorbereitet. Es folgt das kurze 'Faith in You', übrigens das einzig echte Solo-Stück des Albums, ein Instrumental, das ganz im melancholischen Sound des Openers gehalten ist, nur dass hier auf Perkussion und Gesang verzichtet wurde. Über Flöten-Loops legt Romaliadis bloß eine sanfte Solo-Flöte. Mit 'Water' ändert sich ein wenig der Sound des Albums. Neben den Loops kommen hier elektronische Elemente und sogar ein Schlagzeug hinzu, die den Song-Charakter des Stücks unterstreichen. Anders als beim Opener jedoch, singt Akis Boyatzis weniger melancholisch, im Gegenteil: seine Stimme wirkt fast metallisch und ein wenig befremdlich, nichtsdestoweniger aber passend, vielleicht auch weil der Text so seltsam wird. 'Sketches for Two Puppets' ist dann der erste große instrumentale Höhepunkt des Albums mit David Jackson spielt hier hauptsächlich Saxophon, derweil Stelios Romaliadis den Flöten-Part bestimmt. Die beiden Solo-Stimmen führen einen Dialog, zuerst noch ruhig, dann zunehmend lebhafter. Bald legt sich ein Loop unter die beiden Solo-Stimmen, bald ein weiterer, dann beruhigt sich der Dialog der beiden Solisten wieder, dann schwillt er noch einmal an: Musik zwischen Jazz und Impressionismus, die in steter Veränderung ist. 'From Here' ist der zweite Gesangsbeitrag von Lisa Isaksson, doch der englische Titel täuscht: Der Text ist auf Schwedisch und klingt (in meinen Ohren) wie ein altes, trauriges Volkslied aus dem Norden. Gleichzeitig ist der Song wie ein Intermezzo für das zweite Jackson/Romaliadis-Stück des Albums, dem Titelstück 'Distress Signal Code'. Anders als auf dem ersten Duo-Stück wird hier kein Dialog, kein ständiges Hin-und-Her der beiden aufgebaut. Der Solist tritt hier starker in den Vordergrund, derweil der andere Spieler im Hintergrund bleibt, um dann seinerseits das Zepter in die Hand zu nehmen und den anderen in den Hintergrund verschwinden zu lassen. 'Our Waves' ist das experimentellste der vier Gesangsstücke des Albums. Eleni Adamopoulou, die Gast-Sängerin des Stücks, singt nicht richtig, gestaltet den Gesang selbst fast wie eine Schleife, deutet eine Gesangslinie nur an, die sich dann auch bald in den übereinander schichtenden elektronischen und akustischen Loops verliert. Es folgt das dritte und letzte Stück, das mit der Beteiligung David Jacksons entstanden ist und wieder bringt sich Jackson auf eine neue Art ein. War er beim ersten Stück gleichberechtigter Partner und beim zweiten Stück alternierender Solist, so steht er bei 'Urban Legend' als alleiniger Solist (am Saxophon) im Vordergrund. Doch Achtung: Jackson spielt hier keine ausufernde Solo-Partie (wie im Jazz), sondern reißt eher die Melodien und Stile nur kurz an, um dann abzukehren, bevor er zu dominant wird. Darunter wummert ein treibender Rhythmus. 'Memories of the Future', ein Stück, aufgebaut aus Flöten-Loops, etwas Keyboards und einer eingespielten Sprechstimme, beschließt das Album. Es erinnert mich von der Machart und von der nachdenkliche Stimmung an die 'Water Music' von Robert Fripp (auf dem Album Exposure) und vermittelt den Eindruck des Ausklingelns. In der Tat würde ich mir kein anderes Stück des Albums dahinter vorstellen können, so als ob die eingespielten wissenschaftlich-philosophischen Texte wahrhaft einen Schlusspunkt setzen. Wenn ich mir so viel Mühe gegen habe, die einzelnen Stücke des Albums zu beschreiben und zu besprechen, dann tat ich das, weil ich klar machen wollte, in welcher Bandbreite sich Stelios Romaliadis und seine Mitstreiter auf dem Album bewegen. Hier passt alles zusammen, Ton in Ton sozusagen, doch die Palette reicht vom hellsten Ton einer Farbe bis in deren fast völlige Auflösung ins Dunkle. Mag sein, dass der graue Himmel und eine winterlich-melancholische Stimmung passend waren, um das Album für mich aufzuschlüsseln, unterm Strich bleibt für mich eine überdurchschnittlich spannende, abwechslungsreiche Ambient-Scheibe, die auch jenem gefallen könnte, der normalerweise mit Ambient nichts anfangen kann, wohl aber mit ruhiger, experimenteller Musik.
Sal Pichireddu
© Progressive Newsletter 2009