CD Kritik Progressive Newsletter Nr.63 (09/2008)
Random Touch - A box and a word
(57:08, Token Boy Records, 2008)
Random Touch - Duologue
(39:52, Token Boy Records, 2008)
Die amerikanischen Free Rocker Random Touch legen ihre neunte und zehnte Arbeit, unabhängig voneinander produziert, zusammen vor. Der kunstvolle Klang findet wie auf den vorherigen Werken zu seltsamem, abstrakten Klang, der keine wirkliche Vergleiche kennt, aber zu Miles Davis 1968 bis 1975 und Live-Improvisationen sowie Synklavier-Stücken von Frank Zappa einige Parallelen hat. Zwar sind die CDs jeweils in einzelne Tracks unterteilt, die auch Namen haben, aber von "Songs" kann hier eher nicht gesprochen werden. Eher von "Sounds", die vom rocktypischen Klang der Instrumente geprägt, wie Avant Jazz gespielt wurden, nur angenehmer und weniger schrill klingen. Tonal ohne böses Kreischen, Sägen oder Kratzen, sehr disharmonisch wie Free Rock, ebenso abstrakt, partiell hart gespielt, zumeist esoterisch versponnen, lyrisch und zart wie ein Nebenschleier klingen die zumeist erstaunlich kurzen Tracks. Die Stücke von Random Touch sind niemals extrem, tun niemals weh. Die Klangwelt des Ensembles ist verwunschen. Ihre Musik ist ein abstrakter Kosmos verwirrender melodischer Verwischtheit und Unklarheit, die sich aus improvisativ freier Spielweise mit kratzigen, hauchenden, gesprochenen, wie zufällig gespielten Tönen zusammen setzt und keinen nahen Vergleich kennt, als den zu ihren Vorgängerwerken. Manche Tracks ziehen vorbei, ohne größeren Eindruck zu hinterlassen. Eine fast schon hypnotische Wirkung macht sich breit, ein Bann, der entspannt und verführt. In anderen Tracks findet das freie Musizieren von Christopher Brown (dr, voc, electr), James Day (keys), Scott Hamill (g) und Matthes Ebbin (Videokamera [!]) zu einem spannenden, energischen Zusammenspiel, das fast schon bombastische Züge trägt, die nervöse Spannung bis zum Bersten anhebt und zu einem brodelnden Jazz-Kessel aufputscht. Diese grandiosen Momente passieren nicht in jedem Track, kommen aber immer wieder vor, als hinreißende Höhepunkte der vielen Musikgewitter. Partiell werden auch Lyrics intoniert, allerdings nicht in herkömmlichem Sinn gesungen. Christopher Brown spricht die Texte im Off, lässt sie im Hintergrund laufen oder duselt sie theatralisch in das Soundgemenge. Die Texte sind im Booklet nicht abgedruckt, möglicher Weise auf der Webseite der Band (siehe unten), ein näherer Sinn hat sich mir nicht erschlossen. Das 56-minütige "A box and a word" trägt eine enorm nervöse, aufgeregte Stimmung, die gleichzeitig beruhigend wirkt, wie eine Stille-Insel inmitten eines brausenden Sturmes. Das knapp 40 Minuten lange "Duologue" hingegen findet wenig nur aus ambienter Stille heraus. Zwar gerät auch hier der Klang ins Kochen, was aus der sonstigen Stille umso wirkungsvoller ist, insgesamt aber bleiben die neun Tracks der CD moderater, zurückhaltender. Eingespielt im Duo von Christopher Brown (dr, voc) und Scott Hamill (g), jedoch unter dem Namen Random Touch veröffentlicht, scheint es, als hätte die Band die Erwähnung des Keyboarders oder Elektronikers vergessen. Scott Hamill weiß seine Gitarre rocktechnisch zu bedienen, so klingt sein Solo im letzten Track "a favorable direction" wie ein Echo von Jimi Hendrix, zumeist jedoch ist der verzerrte Klang fast elektronischer Natur. Die fast stetig instrumentale Musik wird als Geräusch erlebt, als quasi willkürliche Experimentalfläche, deren bewegte und stets lebhaft unruhige Struktur neugierig macht. Was für den Hörer wie willkürlich gilt, ist für den Musiker, wenn auch improvisativ, strukturierter, durchdachter, angestrebter Klang, in dem nichts schlechtem Zufall überlassen wird und in dem die angesprochenen dynamischen Höhepunkte als Energieimpulse bewusst gesetzt werden. Zugegeben, ehe man diese Klangwelt nachvollziehen und lieben kann, muss man etliche Male die Beschallung ertragen. Wer in seinem melodischen Genre zufrieden ist, wird nicht wollen, sich in diese sperrige Tonwelt einzuhören, dafür werden interessante Erfahrungen vorenthalten bleiben und Grenzen herkömmlicher Art bestehen - es ist eine Herausforderung, sich in das freie tonale Feld der Band zu wagen. Für Random Touch ist die eingängig-harmonische Musik, wie sie 98% aller musikalischen Stile bedienen, längst vorbei. Sie forschen in der atonalen, freien Weite, zaubern ungewöhnliche Klänge, die nicht wenig Anmut und Harmonie haben und Fans ausgefallener Musik überzeugen, ihren Horizont erweitern werden. Random Touch sind mehr wertvolle Erfahrung als gemütliche Unterhaltung. Und dennoch muss nicht ständig der Kopf beansprucht werden, um die, wenn man so will, humorvollen Klänge zu genießen. Reicht aus, gute Laune zu haben.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2008