CD Kritik Progressive Newsletter Nr.63 (09/2008)
Supersister - Present from Nancy
(47:35, Esoteric Recordings, 1970)
Supersister - To the highest bidder
(50:57, Esoteric Recordings, 1971)
Supersister - Pudding en Gisteren
(57:45, Esoteric Recordings, 1972)
Supersister - Iskander
(57:25, Esoteric Recordings, 1973)
Amsterdam ist nicht weit von Canterbury entfernt, Luftlinie zumindest. Das beweisen diese vier wunderbaren Alben der Holländer Supersister, die zwischen den Jahren 1970 und 1973 veröffentlicht, einen ausgeprägten, qualitativ hochwertigen Mix aus den die Band damals inspirierenden Vorbildern Soft Machine, Caravan und The Mothers Of Invention präsentieren. Robert Jan Stips, ein Star in den Niederlanden, der in vielen Bands und popmusikalischen Stilen aktiv werden sollte (key, voc, vibes), Sacha van Geest, der 2001 verstorben ist (fl, voc, sax), Ron van Eeck (b) und Marco Vrolijk (dr) spielten die ersten drei Alben der Band ein. Der grandiose, jazzverseuchte Stil der Band kam ganz ohne Gitarre aus. Die komplexen Arrangements lassen keine Zeit zum Nachdenken, sondern füllen stets neue Ideen aus, die mal humorvoll, mal melancholisch, dann dynamisch forsch in den Bann ziehen und nicht mehr locker lassen. "Present From Nancy" könnte glatt von einer canterburyanischen Band stammen, die Kompositionen, der Gesang, die Soli und Arrangements - alles spricht dafür. Dennoch machen Supersister nichts und niemanden nach, lassen sich lediglich inspirieren. Abgefahrene Sounds, jazzige Kompositionen, dynamisch-forsches Spiel, schnelle, rhythmisch geprägte Songs auf komplexer Basis gehen ungemein gut ab und sind in aller avantgardistischen Extravaganz eingängig und unterhaltsam - für Fans dieser Spielart. Nach dem Winterschnee wurde 1971 "To The Highest Bidder" unters Volk gebracht. Die grandios gespielten, begnadeten Stücke, wie stets fast sämtlichst von Robert Jan Stips komponiert, sind melodisch reicher, vielfältiger als die der ersten LP. Alle vier LP-Songs haben eine Ideenfülle, die magisch in den Bann zieht. Die Songs scheinen dynamischer, intensiver als die des ersten Albums, dabei klingt die Einspielung unglaublich locker und souverän, hier sind wahre Künstler am Werk gewesen. Was sich alles in den langen instrumentalen Parts abspielt, ist nicht mit Worten wiederzugeben, muss unbedingt gehört werden. Die Gesangslinien sind grandios! Der schwarzhumorig-schräge Bonus "The Groupies Of The Band" wird den Ernsthaften unter den JazzProgFreaks vielleicht nicht gefallen, aber die gibt es nicht auf diesem Planeten. Für viele Supersister-Fans ist "Pudding En Gisteren" das genialste Album der Band. Als Letztes in der ursprünglichen Besetzung hat es Intensität und Leichtigkeit, Verrücktes, abgefahrene Kompositionen, ausgedehnte melancholische Phasen, düstere und lichte Motive. Die beiden um vier Minuten langen Songs auf LP-Seite 1, "Radio" und "Psychopath", sind liedhafte Pianostücke mit Bandbegleitung, die Zappas Humor mit Canterbury-Klangwelt vereinen. In der melodischen Harmoniefülle steckt ein freundlicher, geradezu sonniger Dorn, der dem Humor der Lyrics eine ganz besondere Würze gibt. Verrückt - und nebenbei lieblich nett, fast schon kitschig. Die beiden langen Rillen sind ganz anders aufgebaut. "Judy Goes on Holiday" (12:38) und der LP-seitenlange Titeltrack (21:02) sind intensive Jazzprogrocker, sehr komplex und dynamisch ausgeführt. Die Themen der Songs werden improvisativ variiert, sind fast wie klassische Werke geschrieben und arrangiert, die Struktur der Songs hat intensive Wirkung. "Pudding En Gisteren" als Musik für Ballett untertitelt, im Booklet ist ein Bild von einer Aufführung abgebildet, endet in einer wilden Doo-Wop-Nummer, einer herzhaften Rock'n'Roll-Parodie. Verrückt, diese Ideenfülle, Jahr auf Jahr hat die Band vier LPs eingespielt und dabei keinen qualitativen Verlust erlitten. Als Bonus ist eine 13-minütige Liveversion von "Wow" vom 1. Juli 1972 enthalten, die einmal mehr den Humor und die verrückte Seite der Band neben der rasanten Spielweise beweist. Robert Jan Stips war von einigen Parts der LP enttäuscht. Er hatte das Gefühl, den Faden verloren zu haben und wollte mehr Jazz spielen, Free Jazz in seine Songs einbauen. Die Band kam in Konflikte, zu deren Höhepunkt Sacha van Geest und Marco Vrolijk ausstiegen. Als Ersatz kamen Herman van Boeyen (dr) und der Jazzmusiker Charlie Mariano (sax) zur Band. "Iskander" hat immer noch, aber weniger Zappa und weniger Canterbury im Blut. Zwar ist der "alte" Geist der Band nicht komplett gewichen, doch Supersister probieren sich tiefer im progressiven Jazzrock. Die vielfachen Ideen, die Vielfalt der Band zeigen sich verändert. Jazzige Saxophonsoli münden in abgefahrene Keyboardpassagen, von leidenschaftlichem Rhythmus komplex untermauert. Die Band rockt härter, die Arrangements scheinen angezurrt, kompakter und druckvoller. Eine nervöse Stimmung zieht sich durch so manchen Song. Intensivster dieser an Höhepunkten wieder einmal nicht armen Platte ist das 8-minütige "Babylon", in dem die Jazzrock-Post wie im wilden Westen abgeht. Es werden keine Gefangenen gemacht, und ob der Weg nun rau und steinig ist, die Band rast darüber hinweg, von starken Pferden unermüdlich gezogen. Nur wenig stehen die anderen 8 Songs diesem Monster nach. Nach "Iskander" kam Sacha van Geest zur Truppe zurück. "Spiral Staircase" hat wieder mehr Humor, ist dafür musikalisch nicht mehr von der Intensität und Komplexität, die diese ersten vier, großartigen Alben auszeichnet. Alle Alben sind mit Bonustracks, mehreren Singlesongs und weiteren Stücken ausgestattet. Die Singles sind weder blöd noch oberflächlich, weder überflüssig noch popbetont, haben die gleiche Intensivität und Qualität der LP-Stücke. Erstaunlich und aus heutiger Perspektive kaum zu glauben, was das damalige Publikum liebte und wovon es immerzu mehr wollte! Was die Bands für intensive und abgefahrene Musik spielten! Die Booklets haben die umfassende Story der Band abgedruckt, zudem Bilder und technische Details. Die Musik der Alben und aller Bonustracks ist digital remastert und in erstklassigem Sound zu hören. Eine bessere Präsentation auf CD können die Alben, die bisher nur als simple 2LP auf 1CD zu bekommen waren, kaum erwarten. Ein Glücksfall für süchtige Fans des jazzversuchten Progressive Rock. Hier gibt es liebevoll aufgemachte Höhepunkte der klassischen Progressive Jazzrock Szene. Ein unbedingtes Muss!
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2008