CD Kritik Progressive Newsletter Nr.62 (05/2008)

The Wrong Object - Stories from the shed
(54:34, Moonjune Records, 2008)

Die in Belgien beheimateten The Wrong Object tauchen mit jedem neuen Album tiefer und tiefer in die abstrakte Welt des Jazzrock ein. "Stories from the shed" präsentiert Songs, deren komponierte Grundstruktur in aufwendigen und bisweilen freejazzigen Improvisationen virtuos aufgebrochen und zu anarchischer Tiefe und grandioser Dichte geführt wird. Diese harmonische Freiheit ist schlicht perfekt! Bisweilen rockt die Band erstaunlich hart, brettert durch ihre Jazzgefilde und macht die Atmosphäre stürmisch. Andere Songs versiegen fast in der ihnen eigenen lyrischen Melancholie, die wie ein hauchzarter Nebel über einer frühmorgendlichen Stimmung liegt. Schon der Beginn der CD ist perfekt: nach dem freien, wilden Intro spielen Wrong Object ein an Ska erinnerndes Motiv, das sich immer mehr in die Richtung entwickelt, aus der alle Songs der CD ihre Inspiration beziehen: dem Frühsiebziger, herzhaft komplexen, dynamisch rockenden Jazzrock mit Spezialorientierung auf die Briten Nucleus. Nucleus stecken nicht nur in der steten Präsenz der Trompete, ebenso haben die kraftvollen Arrangements das besondere, ausgezeichnete Flair des Vorbildes. The Wrong Object, Michel Delville (g, electr), Fred Delplancq (ts), Jean-Paul Estievenart (tr), Damien Polard (b, electr) und Laurent Delchambre (dr, perc, electr) sind beileibe keine "alte" Band. Michel Delville ist Baujahr 1969 und mit Abstand der Älteste, Jean-Paul Estievenart ist, als Jüngster, 1985 geboren. Und dennoch, seine Einflüsse sind Miles Davis, Freddie Hubbard, Woody Shaw - die heutige Zeit baut auf frühere; moderne Einflüsse sind rar, weil diese wiederum auf Vorgänger verweisen können, die zumeist vor über 35 Jahren (oder davor) ihre beste Zeit hatten. Das Ensemble spielt virtuos und technisch herausragend. Melodische und abstrakte Passagen sind stets sehr lebhaft und intensiv, die emotionalen Stimmungen tief ausgeschöpft und beeindruckend. Gitarrist Delville, Saxophonist Delplancq und Trompeter Estievenart solieren mit ihren Melodieinstrumente zuvorderst, Bass und Schlagzeug unterarbeiten diesen spannungsreichen Flächen einen impulsiven, differenziert komplexen Rhythmus, der hier und dort selbst solistischen Anspruch pflegt. Manchen Songs sind elektronische Klänge unterlegt, wie ein Wink aus der symphonischen Rockmusik. Auf "Stories from the shed" sind die Songs erheblich viel kürzer als auf den Vorgängerwerken ausgefallen, was nicht unbedingt auffällt. Die Themen scheinen ineinander auf- und -überzugehen, der intensive instrumentale Ausbau der Stücke führt solistisch aus dem einen in den anderen Track, wo aus einem Nucleus-ähnlichen Part plötzlich ein Zappa-inspiriertes Gitarrensolo wächst. Die 14 Stücke sind ein organisches Gesamtkunstwerk, das komplett seine größte Wirkung entfaltet. Die einzelnen Tracks funktionieren ohne Frage auch für sich, in der Menge ihresgleichen ist der hohe Energielevel aber unschlagbar. Wrong Object? Right Object!

Volkmar Mantei



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