CD Kritik Progressive Newsletter Nr.61 (01/2008)
Liquid Trio Experiment - Spontaneous combustion
(78:07, Magna Carta, 2007)
Oktober 1998. John Petrucci, Mike Portnoy, Jordan Rudess und Tony Levin, das Liquid Tension Experiment, sind verabredet. Das Studio ist gebucht, sie reisen an. Dann ein Anruf, die Frau von John Petrucci ruft diesen fort. Was tun, denkt das verbliebene Musikertrio? Ja. Was tun!? Das Studio ist gebucht, die Zeit eingeplant. Also: Jam. Das Trio tobt sich unter exzellenten Bedingungen aus, zeichnet alles auf. Und trennt sich wieder. Jedoch kommen in der folgenden Zeit die Aufnahmen weg. Glücklicherweise nimmt Mike Portnoy, nur für sich selbst, aus historischen Gründen quasi, alles auf, was er spielt. So auch diese Jam. Mit einem 2-Kanal-Stereo-Dat-Rekorder. Nun, Jahre später, legt Magna Carta Records 13 Ausschnitte aus der Session auf CD auf. Keine Overdubs, kein Schneiden, kein Mixen. Die reine Aufnahme. Teile dieser Session sind brillant, vor allem die längeren Tracks, wenn das Trio sich, fast wie unbemerkt, in den Jazz aufmacht, oder Jordan Rudess klassische Partituren spielt. Den meisten, kurzen, Stücken ist das freie Jammen stark anzuhören. Es liegt an der Inspiration und dem Einfühlungsvermögen der Musiker, die Minuten zu gestalten. Manches Mal ist da heiße Luft zu spüren, wenig Inhalt. Vor allem Mike Portnoy, der willkürlich, scheint's, die Rhythmen wechselt und als Lautester oftmals die Aufnahmen bestimmt, trampelt wie ein Blinder durch den Porzellanladen. Tony Levin arbeitet indes als introvertierter Besessener am perfekten Klang, an der perfekten Spielweise. Jordan Rudess spielt an den Knöpfen herum, die seinem Keyboard den Klang machen. Manche Note kann man getrost vergessen. Wertvoll zuhöchst nur für die Musiker selbst, die daraus möglicherweise Ideen für echte Songs ziehen können. Auf CD für süchtige Fans hingegen irritierend, die mancher verfahrenen Situation nichts abzugewinnen wissen werden. Anderes hingegen ist in seiner rohen Form sehr spannend. Von eingängigem, stetem Groove getragen, Tony Levins Freakbass witzig unterhalten und verwunschenen Keyboardspielereien angemalt, ziehen die Stücke unterhaltsam dahin. Und dann sind da die wuchtigen, bombastischen Tracks, Rudess am Klassikkeyboard, Levin und Portnoy arbeiten an der Komplizierung des Rhythmus, diese Stücke sind nicht nur die Längsten. Es sind auch die Wenigsten. Mal klingt das Trio wie eine synthetische ELP-Version, dann wie ein Funk-Ausbruch oder, in der Groovebetontheit, gar Disko-Tanzkapelle. Dann kommt Dream Theater wieder durch, schließlich Jazz-Fusion und ein Hauch von King Crimson. Ist schon abwechslungsreich, hat Virtuosität und zeigt musikalisches Format. Der Klang der Aufnahmen ist zudem OK, so dass sich nicht nur Hardcore-Fans der involvierten Musiker oder ihrer Stammbands angesprochen zu fühlen brauchen. Letztlich aber bleibt die Frage, ob man dieses Experiment überhaupt braucht.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2008