CD Kritik Progressive Newsletter Nr.61 (01/2008)

Time Of Orchids -Namesake laution
(51.56, Cuneiform Records, 2007)

Wie klingt die avantgardistische Mischung aus Beach Boys (Gesang), Thinking Plague (instrumentale Struktur + Gesangslinien), Yes (Stimmen) und Bob Drakes ultrakomplexem, schunkelleichtem Country-Cajun-Avant-Pop? Düster, eigenwillig, ungewöhnlich, herausfordernd - und progressiv. Wahrhaft progressiv, denn diese Nachwuchskapelle, deren instrumentalen Stil man in der tiefsten Wurzel bis auf harsche King Crimson zurückführen kann, findet seine konkreten Einflüsse wohl in Punkrock, Avantrock, Freejazz und No Wave, und bei heutigen Avantrockbands, denen King Crimson auch nur Inspiration in der dritten Generation ist. Time of Orchids verblüffen ungemein. Der abstrakte, rhythmisch stets gebrochene instrumentale Rahmen, der fast kriegerische Härte hat und dennoch wie ein illuminierendes Beiwerk wirkt, ist von extremer Komplexität. Kaum nachvollziehbar, wie die Band sich die Songs merkt, um sie live spielen zu können. Oder aber diese Art steter rhythmischer Brüche ist die improvisative Variable perfekt aufeinander eingespielter Musiker. Hauptsache dieser Gewaltsongs, die tatsächlich auch eine symphonische Seite haben, was sich im (Prog-) genretypischen Keyboardspiel und -sound zeigt, ohne dass kunstvolle Keyboardkaskaden die Songs lang machen (bis auf einen sind alle Songs relativ kurz) - ist der Gruppengesang. Die komponierte melodische Linie hat deutliche Nähe zu Thinking Plague, die Sangesstimmen in ihrer hohen Stimmlage und Stimmführung erinnern an Jon Anderson und Bob Drake, die Düsternis der Vokalharmonien an manch dunkle Idee Brian Wilsons. Dabei bleibt der Gesang - ebenso wie die instrumentale Seite der Songs - ungewöhnlich unnahbar und 'schwierig'. Dergleichen ist in der populären Rockmusik nicht gängig. Diese Eigenart findet sich in den poetisch komplizierten Texten wieder. Instrumentale Ausläufer sind selten, zumeist bekommt man den Eindruck, die Musik bewege sich auf äußerst fragilem Boden und springe wie ein Steinbock von Fels zu Fels, Fuß zu fassen. Nicht allein die rhythmische Struktur ist so angelegt, auch die wie zufällig klingenden Gitarrenlinien, die erstaunlich wenig Verstärkerleistung brauchen - und schon gar keine virtuos geführte Hand. Scheint, als finde diese neue Ästhetik ihren Ursprung in Time of Orchids, die sich nicht weigern, symphonisches, sperriges und atonales Liedgut mit scheinbar eingängigen Gesängen zu vereinigen. Scheuklappen hat der Vierer wahrhaft nicht. Für dieses Abenteuer muss die Hörerschaft erst noch nachwachsen.

Volkmar Mantei



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