CD Kritik Progressive Newsletter Nr.61 (01/2008)
Solstice - Silent dance
(43:01 + 70:26, F2, 1984/2007)
Solstice - New life
(41:35 + 76:09, F2, 1992/2007)
Solstice - Circles
(62:42, F2, 1997/2007)
Solstice - The Cropredy Set
(45:14, F2, 1999/2007)
Es gab einmal eine Zeit, da hatte der Liebhaber progressiver Rockmusik nur wenig zu lachen. Einige seiner Haupthelden gingen (vorrübergehend) in Rente (ELP, Yes usw.), andere brachten Platten heraus, die zu einem Großteil nicht mehr die Musik beinhalteten, für die er seine Helden einst lieben lernte (Genesis). IQ oder Marillion begannen erst ganz langsam Fuß zu fassen. Da war man dann schon mal froh über Alben von Haze oder Castanarc. Ich erinnere mich, dass auch die erste LP von Solstice im SRM gehörig bejubelt wurde, wie ich heute weiß zu Recht. Immerhin einige Jahre später Anlass für mich, mir deren zweite Veröffentlichung nach Erscheinen schnellstmöglich zu besorgen (gab's, glaube ich, beim Bäcker). Den Verantwortlichen bei F2, die jetzt alle drei Solstice Alben mit jeder Menge Bonusmaterial sowie einen Livemitschnitt auf insgesamt sechs CDs und einer DVD unters Volk bringen, kann man fast nicht genug danken. Man zeichne sie mit dem Nationalpreis aus, oder wenigstens als Helden der Arbeit. Das Debutalbum "Silent dance" erschien 1984. Kern der Band sind Andy Glass (gtr) und Marc Elton (violin, keybd). Ebenfalls stilprägend war der Gesang von Sandy Leigh, immerhin schon die dritte Sängerin seit 1982. Der ständige Wechsel auf dieser Position dürfte ein Grund sein, dass Solstice der richtige Durchbruch verwehrt blieb und zwischen den Alben immer jahrelang, zumindest für Außenstehende, Funkstille herrschte. Verglichen wird die Musik gern mit Yes, Jethro Tull, Renaissance und Mostly Autumn. Die Stimme von Sandy weißt teilweise schon verblüffende Ähnlichkeiten mit der Anny Haslams auf. Andys fantastisches Gitarrenspiel, das Vergleiche mit den ganz Großen der Progszene nicht zu scheuen braucht, und Marcs Violine bestimmen den Sound von Solstice. Keyboards spielen nicht die Hauptrolle. Höhepunkt auf "Silent dance" ist das knapp 9-minütige "Brave new world" mit einem ausgedehnten Instrumentalteil, der in einem fulminanten Gitarren- / Geigenduell gipfelt. Die Bonus-CD bringt verschiedene Demos und eine Aufnahme der Friday Rock Show, z. T. noch als Instrumentalband. Das Material hat durchgehend nicht die Qualität der endgültigen Veröffentlichung, veranschaulicht aber sehr gut den Weg, der zu "Silent dance" führte. 1992 erschien für viele völlig überraschend das zweite Album einer Band, von deren Fortbestehen kaum jemand Kenntnis hatte. "New life", passender Titel, enthielt außer den Epics "Guardian" und "Journey" ausschließlich Material, das schon zu Zeiten von "Silent dance" existierte und live erprobt war. Mit Heidi Kemp war die fünfte Sängerin an Bord, die zwar nicht mehr so sehr nach Anny Haslam klang, aber auch über eine schöne Stimme verfügt. Auch auf "New life" liefern sich Andy und Marc faszinierende Duelle, And`s Gitarrenspiel erinnert auch schon mal an Camel ("Guardian"). Die Bonus-CD ist das Missing Link zwischen erstem und zweitem Album und bringt Demos und Bootlegs (Sound teilweise entsprechend). Noch vor Abschluss der Tour zum Debüt-Album stand die Band mal wieder ohne Sängerin da. Nachdem man einige Zeit zu viert tourte, wurde ein Versuch mit einer neuen Sängerin gemacht, der aber nur eine Notlösung gewesen sein kann. Immerhin bekommen wir noch eine Live-Version von "Brave new world", allein das ist die Bonus-CD wert. Ausschnitte von einem Gig im Marquee zeigen die Band von einer mehr fetzig rockenden Seite, Publikum und Musiker haben hörbar Spaß. 1997 erschien auf dem Label des Jethro Tull Fanclubs A New Day das dritte Album "Circles" mit Schlagzeuger Clive Bunker (ex-Jethro Tull, ex-Steve Hillage Band) und Sängerin Nummer 6, Emma Brown, und die ist wieder erste Wahl. Eröffnet wird mit dem verträumten Instrumentalstück "Salu", gefolgt von dem stark rockenden Titelsong, der sinnlose Polizeigewalt zum Inhalt hat (es geht um ein Vorkommnis in Stonehenge 1985, warum muss ich jetzt eigentlich an den Polizeistaat BRD denken?). Der Wechsel von balladesken, teils nachdenklichen und verträumten Songs zu zupackend rockigen Tracks wird über das ganze Album im typischen Solstice-Sound durchgehalten. Abgerundet wird die ganze Geschichte mit einem Livemitschnitt vom Cropredy Festival 1999. Neben Songs aller drei Studioalben wurde mit "Awakening" auch ein Stück von Clive Bunker gespielt, das gut ins Gesamtkonzept passt. Ohne Umbesetzung ging es auch hier nicht. Vom alten Stamm ist nur noch Andy Glass dabei, für Marc Elton kamen Jenny Newman (fiddle, voc) und Steve Mcdaniels (keyboards). Als gut gemeinte Zugabe möchte ich die DVD mit diesem Konzert und einem Interview mit Andy verstehen. Getrübt wird die Freude durch eine Bildqualität auf Bootlegniveau. Einige von Euch werden sich vielleicht noch an einen gewissen XXX erinnern, der in den 90ger Jahren Live-Videos übelster Sorte anbot, die man ohne Augenschmerzen nicht betrachten konnte. Die DVD ist nicht viel besser. Bei Nahaufnahmen geht's noch, aber wehe die Kamera zeigt das Geschehen aus einiger Entfernung. Normalerweise ist ein Solstice Konzert auch optisch ein Genuss (wegen Emma und Jenny). Es müsste eigentlich noch ein Video von einem Auftritt bei einem Treffen vom Jethro Tull Fanclub existieren, das ich in besserer Erinnerung habe, schade, dass man darauf nicht zurückgreifen konnte. Trotz der letzten kritischen Worte kann man von insgesamt vorbildlichen Veröffentlichungen sprechen. Ein durchgehend einheitliches Artwork, kompetente, und, soweit ich das überblicken kann, fehlerfreie (leider keine Selbstverständlichkeit!) Linernotes von Oz Hardwick werten das Set zusätzlich auf. Ich wünsche für diese CDs gute Verkäufe, die die Band vielleicht ermutigen, ein neues Studioalbum in Angriff zu nehmen und ihre Liveaktivitäten aufs Festland auszudehnen (idealerweise große Deutschlandtour). Denn Solstice sind immer noch aktiv (mit nur einer Umbesetzung gegenüber 1999).
Andreas Schütze
© Progressive Newsletter 2008