CD Kritik Progressive Newsletter Nr.61 (01/2008)
Abigail's Ghost - Selling incinserity
(56:25, Aesperus Music, 2007)
"Contemporary Rock" (= zeitgenössischer Rock) wirft einem der Pressezettel ganz schlicht als Stilbeschreibung entgegen und die Amazon Website schlägt einem beim Kauf von "Selling incinserity" gleich das zweite Blackfield Album als mögliche Ergänzung in einer ähnlich gearteten musikalischen Kerbe vor. Tja, und jetzt darf man sich als Schreiberling wieder einmal damit herumquälen, in welche wohl kaum passende Schublade man die Band aus der Nähe von New Orleans steckt. 08/15 Rock ist es nicht, was die Band um die beiden Gründer und Berklee Studenten Joshua Theriot (Gesang, Gitarre) und Kenneth Wilson (Bass, Gesang) bietet, denn der atmosphärische Anteil, sowie durchaus interessanter Songaufbau und auch mal Songlängen jenseits der 5 Minuten Grenze, bieten mehr als die gewohnte Einheitskost. Vielleicht sorgte ja das Hinzustoßen von Keyboarder Brett Guillory für den endgültigen Richtungswechsel, denn mit der Amazon Verbindung zu Blackfield respektive Porcupine Tree liegt man keineswegs so falsch. Härtere Riffs und eindringliche Melodien, aber ebenso einige abgedrehte Keyboardsounds, sowie wohl dosierte Instrumentalpassagen und inhaltliche Brüche führen die durchaus zugängliche Musik in ganz andere Sphären. Dabei sind diese den stilistischen Auslotungen eines Steven Wilson nicht nur einmal sehr ähnlich - vor allem das Albumhighlight "Sellout" könnte glatt aus den "In absentia" Sessions stammen, aber auch andere Passagen stehen in ähnlicher Tradition. Dennoch überfordern Abigail's Ghost den Zuhörer nicht, denn das deutliche Augenmerk liegt vor allem auf melodische, keinesfalls banalen Hooks mit angenehmem Pop Appeal und der genau richtigen Dosis an gitarrenorientierter Rockmusik, wobei, wenn man leise Kritik äußern dürfte, die ganze Produktion durchaus etwas mehr Druck vertragen könnte. Und auch wenn andere Kritiker als Vergleich den Sound der Grungebands der 90er heranziehen, so sind Abigail's Ghost doch vielmehr im Hier und Jetzt zu Hause. Vor allem die melancholische, aber niemals depressive Stimmungstiefe, die weit ausladenden Melodiebögen machen dieses moderne Rockalbum zu einer recht kurzweiligen Angelegenheit mit Potenzial für mehr.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2008