CD Kritik Progressive Newsletter Nr.60 (09/2007)

Franck Balestracci - Modified reality
(76:38, Carbon 7, 2007)

Der Multiinstrumentalist Franck Balestracci hat sein jüngstes Werk "Modified reality" wieder fast im Alleingang eingespielt und nur partiell Unterstützung durch Marianne Denoïa (vi), Reginald Trigaux (g) und Guy Segers (b, voc) erhalten. Die 18 Songs des elektrischen Neutöners, der zu seinen Einflüssen Magma, Thinking Plague, 5uu's, Univers Zero ebenso wie die alten Psychedelic Rocker Gong oder moderne Klassiker zählt, unterscheiden sich deutlich von den beiden Vorgängerwerken. Die Rhythmusarbeit klingt wie ein Mix aus düsterem New Wave / No Wave und Avantgarde Rock. Elektrisches und akustisches Schlagzeug erzeugen einen erschreckend eingängigen, in aller Komplexität schlichten und klangtechnisch synthetischen Rhythmus, der als Basis für die verwunschenen Songs ein sperriges Gerüst ist. Ambiente Sounds, atonale und bisweilen Free-Rock-Attacken wechseln sich mit harmonisch lieblichen Arrangements ab. Über allem schwebt stets ein tief düsterer, dunkelgrauer Schleier, der perfekt zur Untermauerung von Horrorfilmen passt. Es sind nicht nur die Klänge der Instrumente und Stimmen, die zu hören sind. Balestracci hat jede Menge Stimmen und Soundeffekte in die Stücke gemixt, die davon bisweilen komplett bestimmt werden. Mancher Track scheint einen wirklich schlechten Klang zu haben, was sich erst im nochmaligen Hören als runde, überlegte Sache eröffnet. Die enorm düstere Stimmung geht manchmal mit einem wie mechanischen, simplen Rhythmus einher, wird von Keyboard- oder Gitarrenspiel transportiert oder zeigt sich in einem typisch Trigauxschen Gitarrensolo, dass der Sohn Reginald wie sein Vater abgrundtief zu zelebrieren weiß. Manche Stücke scheinen ein Nachhall eines orientalischen Basars zu sein, der hinter schweren Gardinen wie eine zerflossene Geschichte dahinzieht. Aber auch ganz konkrete melodische Songs sind enthalten. Die 18 Tracks sind zwischen einer und 7 Minuten lang. So viele Stücke, so viele unterschiedliche Ideen und Arrangements hat Balestracci verewigt. Allen gleich ist der Klang des 80er Jahre Schlagzeugs, das hin und wieder plötzlich enorm komplex gespielt wird und dann seinen peitschenden Klang verliert. Die Sammlung der Songs wirkt nicht homogen, zu viele unterschiedliche Ideen treffen dafür aufeinander. Balestracci war auch auf seinen Vorgängeralben sehr eklektisch, lässt sich nicht festlegen und geht einen extrem eigenwilligen Weg. So kann seine Musik kaum als "Rock" deklariert werden. Eher kann man "Modified Reality" in der Avantgarde-Kiste versenken. Doch man tut dem Musiker wie der Musik damit keinen Gefallen. Unter den gewöhnungsbedürftigen Tracks gibt es einige Popstücke, die von David Bowie inspiriert scheinen. Anderes hat stark asiatisches Flair. Alle Stücke haben einen eigenartigen Reiz, der sich aus steter Überraschung speist. So sei "Modified reality" nicht nur Fans düsterer Klänge empfohlen (die hiermit ein extravagantes Schmankerl finden), sondern auch Freunden ausgefallener, stilistisch nicht greif- und festlegbarer Musikextravaganzen.

Volkmar Mantei



© Progressive Newsletter 2007