CD Kritik Progressive Newsletter Nr.59 (05/2007)
George Korein - Too many days
(57:17, Peacific / Galvatraz Records, 2007)
Der populäre Musik produzierende Mensch tendiert im Allgemeinen gegen Schlichtheit, Seichtheit, Kitsch, was man unter dem großen Begriff Schlager zusammenfassen kann und worunter eine große Menge an Pop, Rock, auch Progressive Rock und Jazz fällt. Ist auch klar, der begabte Musiker will seine Familie, seine Fans, sein Mädchen (und andere zudem) beeindrucken und muss von seinem erhöhten, künstlerisch geprägten und berauschten Verständnis (...) auf die im Allgemeinen nichts verstehende Masse zugehen und ihre Herzen und Hüften mit Emotion und Takt erfüllen. Andere Musiker machen andere Musik. Vieler Art Musik. Wahre Musik. Dann sind einige Wenige, die Spaß daran haben, atonalen Krach zu intonieren und eine Art Kunst zu prägen, die schnell als Avantgarde verbraten wird, um das Zeugs in der Schublade zu haben und das Fach schnell zuzuschieben, um den Müll nicht noch länger anhören zu müssen. In den diversen Metalschubfächern gibt es solcherlei, da kann man aufmerksam zuhören, wie man will, zu verstehen gibt es da nichts. Wenn dieserart Musiker dereinst ihren Enkeln die Früchte ihrer Jugend vorführen, wird deren familiärer Stolz schnell verkümmern. Und dennoch, wenn es da auch nichts zu verstehen gibt, kann man das doch nachvollziehen, es gibt Takt und Rhythmus, gewissermaßen Harmonie und Melodie, der Sänger grunzt oder schreit - der Stimmanteil ist menschlich und mit den Ohren wahrzunehmen - alles nur eine Sache des Verständnisses und der Toleranz. Noch ein paar Zacken schärfer sind Leute wie George Korein, der sich bereits solistisch hervorgetan hat und im Duo Infidel?/Castro! radikale Wahrnehmungskuren entworfen hat. Seine Soloarbeit jedoch übertrifft Infidel?/Castro! um Längen, was Ausgeflipptheit und Extravaganz betrifft. Zwar rockt und rollt das Album trotz metallischer Einschläge nicht die Bohne, aber alles ist schräg und abgefahren in den 15 lauten, und, doch, auch schon mal etwas leiseren Stücken. Schublade: No Wave, Avantgarde Prog, Electro Pop - zudem in kleinen, unscheinbaren Nischen exzellente Soli und Harmonien, wie etwas das wahrhaft schöne Basssolo in der letzten Minute von "Love is for Pansies". Gesänge gibt es in dem eigenwilligen Reigen auch. Da scheinen Bauhaus, Einstürzende Neubauten und ganz frühe Kraftwerk mit Krachmetallern so was wie Jazz zu probieren; ein wenig Depeche Mode klingt auch noch durch und die schreckliche Lieblichkeit des Dancefloor kratzt im Off vorbei. Dazu singt George Korein, der seine Botschaften in verrückt abgekürzte Metaphern steckt und viel Sprachverständnis einfordert, zu dem ich keine Lust und sprachliche Voraussetzung habe, über allerhand familienkompatible Themen. So heißt ein Song etwa "Vagina Dentata Assembly Kit" - das ist leicht zu verstehen, er ist geschlechtsreif und hat den erregten Drang, die Welt, die weibliche, davon in Kenntnis zu setzen. Melodiescheue und wenig harmonische Musik versteckt sich hinter elektrischen und elektronischen Lärmkaskaden, Karl May hätte das spannend als Foltermusik beschrieben. Heutige Avantgarde-Liebhaber tun sich - zur Erweiterung des Bewusstseins - derlei freiwillig an. So sind wir Menschen! Das 21. Jahrhundert wird, das offenbart sich auch hier zunehmend, mit wenig Kunst, aber viel Krach in die Musikgeschichte eingehen. Jedoch - im Laufe des Albums gibt die CD dann doch immer mehr echten Inhalt frei - im dramatischen Lärm der schneidenden, schlagenden E-Gitarren-Töne steckt viel verletzte, vielleicht traumatisierte Sensibilität. Als schreie Korein seine Qualen hinaus, stellt er seine Instrumente als Waffen an die Front und lässt es brüllen, quietschen, sägen und krachen. In aller Atonalität und besorgniserregenden Eiseskälte der Tracks blüht manche erregende, heitere Idee, nicht nur in den, hier auch enthaltenen, herkömmlicheren Stücken. Aaaalso: wer auf die Residents abfährt, Zappa und King Crimson in ihrer wildesten Phase für soften Kitsch hält und Depeche Mode den Vorzug gibt (wie geht das jetzt zusammen?, was schreibt der denn plötzlich für einen Stuss!?!), "kranke" Klänge liebt und noch mehr kranke Klänge liebt - der wird den Kosmos von George Korein vielleicht nachvollziehen können und vor allem wollen. Alle anderen nehmen das Album als Popmusik und tanzen dazu.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2007