CD Kritik Progressive Newsletter Nr.58 (02/2007)
Tarkus - A gaze between the past and the future
(41:51, Medusa Records, 2006)
Der bloße Anblick des Covers legt schon gewisse Vermutungen nahe. Angesichts des Bandnamens wird ja schon förmlich aufgedrängt, Tarkus als eine ELP-inspirierte Band zu klassifizieren. Die Innenseite des Back-Covers bestärkt den Verdacht nochmals, denn die dort abgebildeten Cover scheinen zu zeigen, in welche Richtung es bei "A gaze between the past and the future" gehen dürfte: neben dem Original-Emerson-Tarkus-Cover sind unter anderem Yes ("Fragile"), Tull ("Thick as a brick" und "Stand up"), King Crimson ("Earthbound"), Curved Air ("Phantasmagoria"), Focus ("3"), Argent, Crosby Stills Nash & Young, Capability Brown ... und die brasilianischen Tarkus selbst abgedruckt. Ein erster Hördurchlauf zeigt aber schnell, dass man den naheliegendsten Vergleich direkt knicken kann, denn mit der Musik von Emerson, Lake & Palmer hat das vorliegende Werk recht wenig zu tun. Was dieses Sextett, das ich übrigens keinesfalls als südamerikanische Band vermutet hätte, bietet, ist sehr feiner Symphonik-Rock, der größtenteils ohne Bombast auskommt und eine perfekte Balance aus Keyboard- und Gitarren-Miteinander bietet. Und auch Flötist Guimaraes weiß sich gut in Szene zu setzen, was gerade im Zusammenspiel mit der akustischen Gitarre deutlich wird. Zwar wird im Intro des Eröffnungstitels mal kurz Argent zitiert, aber die Großen der Szene wie Yes, Genesis, King Crimson etc. werden hier keinesfalls kopiert. In den akustischen Parts mag bisweilen eine Prise Tull als Inspirationsquelle dienen, doch die Band, an der sich Bandchef und Sänger/Gitarrist "Mr. (Doctor) Zamboni" noch am meisten orientiert, ist - der Beiname sagt es schon - Devil Doll! So haben sie im abschließenden 13-Minüter "The raft of Medusa", einem definitiven Highlight des Albums, mächtige Tasten- und Gitarrenparts eingestreut, die belegen, dass man bei den Devil Doll Alben gut zugehört hat. Wer einen noch deutlicheren Beleg für die Vorliebe für DD braucht, bitte schön: mit "Fragments from Dies Irae" liegt eine knapp 6-minütige Coverversion vor. Die zeigt aber: so etwas tut man nicht! Coverversionen - okay, aber doch nicht Devil Doll! Ist ja nett gemeint, stellenweise auch gar nicht schlecht, aber Mr. Doctors "Gesang" covern? Nee, das kann nicht wirklich gut gehen. Nun sollte man allerdings auch nicht glauben, dass das Album der Brasilianer ähnlich puzzleartig zusammengestrickt ist wie die Alben der obskuren Truppe um Mr. Doctor. Nein, die Kompositionen sind flüssig, der Melodie-Anteil sehr hoch, der Schrägheitsfaktor absolut vernachlässigbar. Tarkus haben hier schlicht und einfach ein sehr schönes, schnörkelloses Symphonikrock-Album vorgelegt. Was dieses Album mir allerdings auch deutlich vor Augen führt, ist, dass ich den Kalk schon bei mir rieseln höre - denn ich komme ums Verrecken zum Beispiel nicht darauf, was da im Eröffnungstitel relativ früh an der Gitarre zitiert wird. Auch erinnert mich der englischsprachige Gesang, speziell in den ruhigen Nummern "You want the real me" und "Blue light", schwer an ... ja, an wen eigentlich? Sorry, liegt mir auf der Zunge - vielleicht kann ich es ja in der übernächsten Ausgabe nachliefern. Die Originalausgabe ist auf 500 Stück limitiert, aber mittlerweile gibt es auch eine um einen knapp 7-minütigen, relativ unspektakulären Bonustitel erweiterte Musea-Version. Feines Album!
Jürgen Meurer
© Progressive Newsletter 2007