CD Kritik Progressive Newsletter Nr.55 (04/2006)
Der Spyra - Headphone Concert
(68:10, Wydawnictow 21, 2002)
Bei der vorliegenden CD handelt es sich um eine Live-Aufnahme, wobei der Albumtitel schon die Besonderheit impliziert: die Zuschauer bzw. Zuhörer haben dieses Konzert tatsächlich über Kopfhörer erlebt. Woher ich das weiß? Ganz einfach: zur einleitenden Vorstellung der beteiligten Musiker bittet der Moderator das Publikum, nun die Kopfhörer aufzusetzen. Eine Aufforderung, der ich nun ebenfalls nachkomme. Und was ich da zu hören bekomme, ist schon sehr interessant. Die deutsch-polnische Kombination, die dieses Konzert im August 2002 auf der Documenta in Kassel bestritt, besteht aus Jo Mar Gardena an Geige und Perkussion, Robert Golla (Gitarre, Kalimba), Christian Lang (Keyboards) und Wolfgang Der Sypra (Keyboards, Steel Cello), der von Moderator Jochen Krajewski als Gärtner des Klanggartens betitelt wird. Krajewski selbst nennt sich verantwortlich für Moderation und Texte, ist aber neben der Einleitung gemäß Bookletinformationen auch noch als Flötist im weiteren Verlauf in Erscheinung getreten (Flötentöne sind mir allerdings irgendwie entgangen). Der Begriff Texte ist etwas irreführend, denn hier wird während der Songs nichts gesungen oder gesprochen, es geht hier wohl ausschließlich um die Anmoderationen. Den Auftakt macht der 25-Minuten Titel "Jeden", der mich in großen Teilen absolut überzeugen kann und der das Highlight dieses Albums darstellt. Die Art, wie hier Themen in Ruhe auf- und ausgebaut werden, ist beeindruckend. Sehr schöne Klanggebilde, die der Gärtner hier kreiert! Mich erinnert gerade dieser teils recht symphonisch angehauchte Titel an Klaus Schulzes Werk "X", wobei allerdings ein Punkt für meinen Geschmack etwas grenzwertig rüberkommt, nämlich Gollas Gitarrenarbeit. Auf der einen Seite weiß er sich bisweilen perfekt in das Gesamtklangbild einzufügen, andererseits soliert er aber (z.B. im Auftaktsong, aber auch später) ab und an recht jazzig vor sich hin, wo ich mich nach diversen Durchläufen immer noch frage, ob dies jetzt eigentlich wirklich passt oder er einfach nur dahinfrickelt, völlig losgelöst von dem, was die restlichen Beteiligten gerade so treiben. Was Spyra meiner Meinung nach hier recht gut gelungen ist, ist die Mischung aus melodiösen, experimentellen und sehr atmosphärischen Passagen. Bei derartigen Kompositionen besteht ja oft die Gefahr, dass die langsame Entwicklung eines Titels sehr schnell in Langatmigkeit abdriftet, was aber Spyra in seinen teils recht eigenwilligen Arrangements zu verhindern weiß. Und so ist nicht nur der Eröffnungstrack erwähnenswert, nein, insgesamt ist der Mix aus Ambient, Chillout, Space- und Schulze-Elektronik gut austariert. Und nicht nur die Keyboards spielen eine dominierende Rolle, auch perkussive Elemente wie beispielsweise das Kalimba-Spiel im zweiten Track mit dem sinnigen Titel "Two" dürfen mal eine Hauptrolle spielen, und auch das dezente Geigenspiel fügt sich gut ein. Eine eigenwillige, aber durchaus gelungene Darbietung!
Jürgen Meurer
© Progressive Newsletter 2006