CD Kritik Progressive Newsletter Nr.52 (06/2005)
Electra - Die Original Amiga Alben
(8 CD-Box, Amiga, 2004)
Nachdem bisher schon einigemale im PNL über Prog aus der DDR (hauptsächlich Stern-Combo) berichtet wurde, bietet diese 8 CD-Box eine gute Gelegenheit, sich auch einmal mit Electra zu befassen. 35 Jahre Electra waren ein willkommener Anlass, diese Box auf den Markt zu werfen. Enthalten sind alle sieben bei Amiga erschienenen LPs sowie die 1989 aufgenommene, aber nie veröffentlichte "Der aufrechte Gang". Für Progfreunde am ergiebigsten sind sicher die zweite, dritte und vierte LP. "Adaptionen" (die 2. von 1976) bietet zeitgemäße Bearbeitungen klassischer Werke von u.a. J. S. Bach, A. Borodin, E. Grieg und Mozart. Zu dieser Zeit waren solche Bearbeitungen ja der letzte Schrei, aber auch heute noch gilt für "Adaptionen" noch das Prädikat "besonders wertvoll". Ein Zweck dieser Veröffentlichung war ja auch, junge Menschen an gute Musik heranzuführen. Bei allem Negativen, das man zum Bildungssystem der DDR vorbringen kann, muss man doch derartige Bemühungen gut heißen, heute gilt ja: mit Volldampf in die Verblödung! "Electra - 3" von 1980 enthält mit "Tritt ein in den Dom" den DDR-Rockklassiker überhaupt. Gesungen von Stefan Trepte und 10 Minuten lang, ein Fest für jeden Progfan. In der vom Atheismus geprägten DDR, erschien solch ein Lied der Obrigkeit als Provokation, obwohl der Text eigentlich eher die Interpretation "Tritt ein in das Baudenkmal" hergibt. Jahrelang war der "Dom" der Renner bei den Konzerten und 1980 konnte doch noch eine Veröffentlichung auf Platte erfolgen. Ein ganz ehrgeiziges Projekt war kurze Zeit später "Die sixtinische Madonna", ein Auftragswerk der FDJ. Hätten alle Aktivitäten dieser Organisation zu solchen Ergebnissen geführt, wäre die FDJ sicher beliebter gewesen. Die 26-minütige Rocksuite, Loblied auf das Meisterwerk Raffaels und Ausdruck der Verbundenheit der Musiker zu ihrer Heimatstadt Dresden, war in den 80ger Jahren Thema von so manchem Schulaufsatz. Dass ich die "Madonna" jetzt am Stück anhören kann, ohne zwischendrin die Platte wenden zu müssen, ist auch sehr erfreulich. Interessant ist der Song "Scheidungstag", vor dessen Komposition Bernd Aust wohl intensiv "And then there were three" von Genesis gehört hat. Das Konzeptalbum "Ein Tag wie eine Brücke" von 1981 ist schon viel geradliniger und schnörkellos, enthält aber noch etliche Anklänge an das Flötenspiel von Ian Anderson. Dagegen driften "Augen der Sehnsucht" (1985) und "Tausend und ein Gefühl" (1987) schon bedenklich in Richtung 08/15-Pop ab, da kann auch der Song-zyklus "Gesichter einer Stadt" (auch hier wieder das Thema Dresden) nicht mehr viel retten, zumal das Schlagzeug nervt. Mit Peter Ludewig und Rainer Uebel fehlen aber zwei weitere, über Jahre prägende Musiker. Nachdem Sänger Manuel von Senden zur Oper ging und Stefan Trepte zurückkehrte (sehr erfreulich), sollte ein Neuanfang möglich sein. Als aber die sogenannte Wende alles umkrempelte und niemand mehr DDR-Musik hören wollte, blieb das eigentlich fertige 8. Album "Der aufrechte Gang" erst einmal in der Schublade liegen. Die textlich wertvollen Songs gewinnen zusätzlich durch den Gesang von Stefan Trepte, dem größten Geschichtenerzähler der Rockmusik im deutschen Sprachraum. Inzwischen haben sich die Zeiten wieder geändert, viele haben eingesehen, dass es besonders in 70er Jahren, in der DDR eine Musik gab, die vielen anderen Produkten aus dem "Westen" haushoch überlegen ist. Und so kam es dann, dass Electra wieder mit Erfolg auf Tour sind, und diese acht CDs sicher ihre Käufer finden werden, zumal der Preis nur bei ca. 30 Euro liegt! Nicht unterschlagen möchte ich die erste LP der "Electra - Combo" von 1974, eine schwer gesuchte Platte, die locker dreistellige Summen erzielt. Vom Sound ein Kind dieser Zeit mit viel Tull-flöte von Bernd Aust und guter Gitarrenarbeit von Peter Sandkaulen, aber auch Orgelsounds, Chören und teilweise sehr soulig/funky Klängen, die heute für manches Ohr etwas eigenartig erscheinen. Sänger sind hauptsächlich Stefan Trepte und Peter "Mampe" Ludewig. Hier also Daumen hoch. Die CDs erscheinen in einer Pappbox und sind bis ins kleinste Detail den Original-LPs nachgestaltet. Beim Lesen der Plattentexte braucht man aber fast eine Lupe. Insgesamt eine rundherum gelungene und vor allem, wichtige Veröffentlichung.
Andreas Schütze
© Progressive Newsletter 2005