CD Kritik Progressive Newsletter Nr.49 (08/2004)
Dreadnaught - Musica en flagrante
(54:04, Big Balloon Music, 2004)
Wenn es um Musik geht, habe ich es nicht so mit dem modernen Wörterkram, aber bei Dreadnaught steht eines ganz oben an der Spitze: innovativ. Das definiert sich auf "Musica en flagrante", mal ganz oberflächlich betrachtet, erst mal als eklektisch. Bei genauerem Hinhören finden sich dann viele direkte Einflüsse. Zappa etwa, Yes, King Crimson, Country, Hillbilly - Prog, RockīnīRoll, Blues, Jazz und eine anspruchsvolle Portion moderner Sounds. Vor allem jedoch bestimmt diese eigene und eigenartige Inspiration diese vielen kurzen Songs. Die Einflüsse werden völlig umgebaut, zu eigenem Liedgut gefügt und daraus eine unabhängige, extrem eigenständige Musik gemacht. Dreadnaught sind Innovatoren, Querdenker, die für hochwertige Einflüsse viel übrig haben. "Musica en flagrante" ist das 4. Werk der Amerikaner. Die Alben sind untereinander nicht vergleichbar, erst recht jedoch nicht mit CDs anderer Bands. Den Auftakt machte 1998 das selbst betitelte, viel versprechende Debüt, dem im Jahr 2000 das ungewöhnliche "Una vez mas" folgte. 2001 kam die grandiose Steigerung mit "The American Standard". 2004 gibt es neben "Musica en flagrante" eine weitere Veröffentlichung: "Live at Mojo", für das die Band eigene Songs in neuen Versionen und Stücke anderer Künstler (u.a. Frank Zappa) spielte, die durch den Dreadnaught - Radikalisator gedreht wurden. Dreadnaught sind Bob Lord (b, key, prog), Justin Walton (key, g, sax, p) und Tim Haney (dr). Als Gäste waren Andy Happel (vi), Ed Jurdi (harm) und Duncan Watt (key) an der Einspielung beteiligt. Dreadnaught haben schon mit ihren früheren Alben neue Territorien erschlossen. "Musica en flagrante" ist quasi ein neuer Stil. Da sitzen Motive beieinander, die bisher nicht in der Form verbunden waren und auch nicht zu passen scheinen. Und als würde ein strenger Aufpasser im Hintergrund agieren, stellen Dreadnaught sich einem überaus hohen Anspruch, mit dem sie ihre quer treibenden Ideen verblüffend umsetzen. Stets ist die feine künstlerische Ader zu spüren. Verblüffende Arrangements gibt es zu hören, ungewöhnliche Songstrukturen, sehr komplexes Liedgut, verschachtelte elektronische Sounds, die wie ein Nachhall von Country wirken, wenn die Mundharmonika von Ed Jurdi kratzige Akkorde darüber haucht. Das hat nichts mit Marlboro Country zu tun, eher mit moderner klassischer Komposition. Die hier ein Rockgewand umgehängt bekommt, das sich keiner Knechtschaft beugt und frei denkend die hohe Kultur progressiver (im wahrsten Sinne des Wortes!) Musikkultur erneuert. Knarzige Orgelquietschereien hasten über ausgebeulte Jazz-Rhythmen, während minimalistische Akkorde mal wie ein Cello, mal wie ein Kinderschlagzeug für Lärm sorgen. Zusammen ergibt dies eine faszinierende Stille, ein loses, in den Bann ziehendes Gefüge träumerischer Melancholie. Laszive Rhodes-Figuren wollen gerade ein Computerspiel untermalen, als der klassische Komponist zum Pianowerk ansetzt. Das wiederum inspiriert den Rocker, diese ungewöhnliche Struktur kraftvoll zu zerstören. Eine geniale Steigerung, die in dieser Form absolut neu ist. Oft spielt sich die Musik in dieser Art ab, elektronische Modelle, die wie Improvisationen wirken, lösen sich mit dem Rockgeschehen ab, und wirklich scheint es, als sei der Komponist der ganzen Sache eher der Klassik zugeneigt. Auf 19 solch eigenwillige Stücke bringt es die CD. Dreadnaught waren in den letzten Jahren so gut wie stets auf Tour. Das hat die Band geprägt, ihr Profil strukturiert, Anspruch und Sinn geschärft. Folgerichtig sind die Stücke der Band immer ausgefallener, eigensinniger, widerborstiger, schöner, klarer, erhabener geworden. Trotz aller Ungewöhnlichkeit stehen Dreadnaught nicht für radikal-harschen Lärm, sind eher die zurückgenommene, stille Variante avantgardistischer Rockmusik. Das macht sie erfahrbar. Wer sich dieser Band und ihrer Musik stellt, gerät in Gefahr, süchtig zu werden. Im besten Sinne ist dies tonale Instrumentalkunst. Absolute Empfehlung!
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2004