CD Kritik Progressive Newsletter Nr.48 (04/2004)

Tiles - Window dressing
(67:35, InsideOut, 2004)

1999 tourten Tiles im Vorprogramm von Dream Theater quer durch Europa. Leider hinterließen sie auf der Bühne einen eher zwiespältigen Eindruck, was nicht nur am miserablen Livesound lag, den man in damals zugestand, sondern vor allem an der äußerst statischen Bühnenpräsenz, besonders von Sänger Paul Rarick. Dazu im Kontrast stehen ihre qualitativ guten Alben, denen nun nach 5-jähriger Sendepause mit "Window dressing" das mittlerweile vierte Werk hinzugefügt wird. Tiles bauen auf ein bekanntes Team, denn wiederum saß Terry Brown am Produzentenpult, u.a. bekannt für seine langjährige Zusammenarbeit mit Rush. Der befreundete Discipline Frontmann Matthew Parmenter durfte ebenfalls wieder einige formidable Geigensoli beitragen. Vom musikalischen Inhalt hat sich auf den ersten Blick wenig geändert, Tiles vertrauen immer noch auf handwerklich bestens präsentierten Hard Rock, der jede Menge Prog Zutaten abbekommt. Nicht nur durch Terry Browns Mitarbeit rückt hier vor allem im ersten Teil des Albums immer wieder der Name Rush als Vergleichsmoment vermehrt in den Vordergrund. Doch im Laufe des Albums kommen immer mehr neue Elemente hinzu, die diesen Vergleich mehr und mehr in den Hintergrund drängen. Es zeugt von Mut bzw. einem gehörigen Maß von Selbstvertrauen, gleich mit dem rund 17-minütigen Titelsong, das Album zu eröffnen. Doch bereits hier deuten Tiles an, dass man auch im weiteren Verlauf, nicht nur songdienliche 4-5 Minuten Songs von ihnen erwarten darf, sie immer wieder für Überraschungen gut sind. Insgesamt gibt es drei absolut hervorragende Instrumentals auf "Window dressing", mit "Capture the flag" und "Spindrift" bewegen sich zudem zwei Songs im 9 Minuten Bereich, was sich ebenfalls in Songstruktur, inhaltlicher Abwechslung, aber auch der Qualität niederschlägt. Gerade in diesen Songs begeben sich Tiles sowohl von den Sounds, von der Stimmung, wie auch durch Hinzunahme von Keyboards und Piano auf ganz neue musikalische Reisen. Melancholisch Momente bestimmen die oftmals getragenen, aber keineswegs langweiligen Songs. Denn zwischendurch wird immer wieder veritabel losgerockt. Leider krankt es bei Tiles immer noch an einheitlicher, gleichbleibender Qualität. Manche Songs, vor allem das kürzere Material, rauschen gut gemacht, aber recht spröde und ohne rechten Wiedererkennungswert an einem vorbei, während ihnen vor allem beim Rückgriff auf Gastmusiker - neben Parmenter, greift Grafiker Hugh Syme in die Tasten, steuert Kim Mitchell etwas Saitenkunst bei - manch interessante, bisweilen geniale Songidee gelingt. So ist "Window dressing" keineswegs ein Album, welches einen sofort umhaut. Erst bei genauem und längeren Hinhören entwickelt es seinen ganz eigenen, subtileren Reiz, wobei Tiles vor allem dann überzeugen, wenn sie sich weg vom reinen Hard Rock, mehr hin zu epischeren, komplexeren Material bewegen. Definitiv das stärkste Album der Amerikaner bisher.

Kristian Selm



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