CD Kritik Progressive Newsletter Nr.47 (02/2004)

Frameshift - Unweaving the rainbow
(79:32, Progrock Records, 2003)

Die Musiker von Dream Theater sind nicht nur als Band aktiv, sondern bringen bereits seit einigen Jahre ihre kreative Energien vermehrt in diverse Solo- und Bandprojekte mit ein. Mike Portnoy ist vielleicht das extremste Beispiel für nicht zu stoppende Aktivitäten (u.a. TransAtlantic, Liquid Tension Experiment, O.S.I., inzwischen trommelt er auch noch in einer Beatles bzw. Led Zeppelin Coverband), ein eher zurückhaltender Soloaktivist ist Dream Theater Sänger James LaBrie. Ganz untätig war der Kanadier aber keineswegs, denn immerhin hatte er in den letzten Jahren mit MullMuzzler zwei Quasi-Soloalben vorgelegt, werkelte u.a. beim "Leonardo" Projekt von Trent Gardner mit bzw. hatte bei Shadow Gallery einen Gastauftritt. Frameshift ist nun sein aktuelles Projekt, welches in Zusammenarbeit mit dem deutsch-stämmigen Multi-Instrumentalisten und Komponisten Henning Pauly (Chain) entstand. Pauly's Ansatz beruht vor allem auf zwei Eckpfeiler. Zum einen wollte er ein Album produzieren, welches James LaBrie so präsentieren sollte, wie er noch nie zuvor zu hören war, die Stimme sollte also eindeutig im Vordergrund stehen. Zum anderen diente als musikalische Grundlage zwar deutlicher Progressive Rock Einfluss, welcher jedoch durch Elemente aus Ambient, orchestralem Bombast, Rock und Pop aufgeweicht werden sollte. Weiterhin basiert das progressive Konzeptalbum auf den Evolutionsarbeiten von Richard Dawkins, einer der einflussreichsten Neo-Darwinisten. Jeder Titel befasst sich inhaltlich mit einem anderen evolutionären Konzept. Der Balanceakt bzw. das Experiment LaBrie in den Vordergrund zu stellen, funktioniert über weite Stellen wirklich sehr gut. Wie noch auf keinen Album zuvor bei dem er beteiligt war, bekommt er auf "Unweaving the rainbow" die Möglichkeit diverse Stile abzudecken, sich vokal man von anderen Seiten zu präsentieren. Selbst die verfremdeten Gesangsexperimente vom aktuellen Dream Theater Album "Train of thought" finden ihren Platz. Zudem wird LaBrie's Vorliebe als bekennender Queen Fan, durch mehrfach eingesetzte, mehrstimmige Gesangsarrangements Tribut gezollt. Auf der anderen Seite nimmt sich Henning Pauly völlig beabsichtig solistisch sehr zurück, stellt Arrangement und verschiedene Stimmungen in den Vordergrund. Bis auf einige kurzen Soli ordnet er sich vollkommen dem von ihm erdachten Konzept unter, auch der Dritte im Bunde, Schlagzeuger Eddie Marvin, funktioniert als gruppendienliche, variable Rhythmusmaschinerie. Hört man sich jedoch tiefer in die Songs ein, lässt die stimmliche Übermacht LaBries bei Seite, so gibt es ebenfalls im instrumentalen Bereich einiges zu entdecken. Nicht nur die stilistische Breite, auch variable, keineswegs eindimensionale Sounds, die je nach Bedarf Bombast, Härte oder elektronische Breitseite (u.a. mit Warr Guitar und Chapman Stick) versprühen. Die inhaltliche Vielfalt des Albums ist jedoch zugleich in einigen Momenten der ungeplante Stolperstein. So funktionieren vor allem die sinfonische, härteren Nummen, auch die Balladen können überzeugen, wird sich jedoch mehr in einfachere Pop / Rock Gefilde vorgewagt, so fehlt es den Songs an überzeugender Substanz, den hängen bleibenden Melodien. So sind dort die Einfälle gut gemeint, kommen aber längst nicht so locker aus dem Ärmel geschüttelt daher, wie bei dem eher für LaBrie "traditionellere" Material. Zwar weist Paulys Kompositionsstil mitunter Prog Metal Einflüsse auf, doch nicht nur durch seine inhaltliche Vielfältigkeit, sind seine Ideen weit davon entfernt, als Dream Theater Clone betrachtet zu werden. Wem das aktuelle Dream Theater Album zu hart ist, wer vor allem die stimmliche Wandlungsfähigkeit von James LaBrie kennen lernen möchte, der bekommt mit Frameshift eine mehr sinfonische, weniger verschachtelte Alternative, die die Laufzeit einer CD bis ans Limit ausschöpft.

Kristian Selm



© Progressive Newsletter 2004