CD Kritik Progressive Newsletter Nr.47 (02/2004)
Equilibrio Vital - Tributo a Marcos Chacón
(46:35, Musea, 1983)
Die Archive an unveröffentlichten bzw. digital noch nicht aufbereiteten Aufnahmen der Vergangenheit scheinen unerschöpflich zu sein. Wie sonst lässt es sich erklären, dass immer noch Aufnahmen aus den 70ern bzw. 80ern ausgegraben und veröffentlicht werden? Dass sich darunter natürlich nicht nur Perlen und unentdeckte Meisterwerke verstecken, versteht sich von selbst. Auch die aus Venezuela stammenden Equilibrio Vital gehören mehr in die Kategorie "progressive Geschichtsaufbereitung", auch wenn man ihrer Musik keineswegs einen spröden, unfertigen Charme absprechen kann und sie mit diesem Kleinod sicherlich ein ausgesuchtes Zielpublikum finden werden. Equilibrio Vital verstehen sich mehr als Künstlerkollektiv, denn als simple Rockgruppe. Elemente aus Literatur, Tanz und Theater waren und sind integraler Bestandteil der Bandkultur. "Tributo a Marcos Chacón", welches ihrem 2001 gestorbenen Gitarristen gewidmet ist, gräbt Aufnahmen aus den frühen 80ern aus, ergänzt um einige neue Titel, die zwischen 2000 und 2003 entstanden und nicht nur klanglich die Gruppe wesentlich moderner präsentieren. Erstaunlicherweise klingen die älteren Songs insgesamt mehr nach den 70ern, als dass sie sich dem damaligen 80er Zeitgeist der käsigen Keyboards und drögen Drumsounds anpassen. So sind deutliche Hard Rock Wurzeln, wie auch Progressive Rock Einschlag vernehmbar, auch wenn die Grundausrichtung grundsätzlich mehr Richtung "normale" gitarrenorientierte Rockmusik geht. Nicht nur aufgrund spanischsprachigen Gesangs, sondern ebenfalls durch Klangerweiterung mit Flöte, Percussion und Backgroundsängerin bekommt die Musik von Equilibrio Vital jedoch ihre ganz eigene Note verpasst. Hier und da bricht ungestüme Wildheit, der Willen zur Komplexität durch, jedoch findet man ebenfalls einige sinfonische, mehr elegische Momente. Die neueren Titel wirken dagegen ausgefeilter, konzentrierter, auch wenn sie keineswegs ihre Wurzeln leugnen. Eine geglückte, wenn auch nicht essentielle Zeitreise aus dem lateinamerikanischen Raum, der vor allem für die Liebhaber der rauen Variante des spanischsprachigen Progressive / Hard Rock sicherlich interessant sein dürfte.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2004