CD Kritik Progressive Newsletter Nr.45 (08/2003)

Ruins - 1986-1992
(75:00, Skin Graft Records, 2002)
Ruins - Refusal Fossil
(69:09, Skin Graft Records, 2001)

Das japanische Duo, das ein Album immer mit 200% Energie beginnt und sich unablässig steigert, hat allerorten veröffentlicht. Die alternativen und Avantgarde-Labels reißen sich gerade darum, als Veredelung des Repertoires einen Silberling der forschen Japaner im Angebot zu haben. Ruins mögen das und gehen hier und dort darauf ein. Sie tun recht daran, doch das macht es schwer, den Überblick zu behalten. Wie viele Tonträger gibt es von dem wilden Duo? Von wem sind diese veröffentlicht worden? Wenn sich dann per Zufall ein solches Label finden lässt, ist die Freude groß (manche Labels sollen gar noch einige Lagerbestände haben - da ist Hoffnung!!!). Über die Avantgarde-Ausgabe des überaus abgedrehten, verwilderten und rasanten Hardrocks ist gewiss viel geschrieben worden. So sei nur gesagt, dass sie alle Recht haben. Ruins sind zwei völlig normale Typen, aber sobald sie sich mit ihren Instrumenten der tonalen Wildnis widmen, ist alles anders. Bassist Masuda Ryuichi ist ein ausgefuchster Techniker, der den Bass mal wie Gitarre, dann als Bass spielt und melodische Linien fährt. Ruins ist vor allem das Baby von Schlagzeuger / Sänger Yoshida Tatsuya, der sich eine unglaublich perfektionierte und äußerste komplexe Technik angeeignet hat. Gerade durch seine unübertreffliche und rasante Virtuosität am Schlagzeug atmen die Ruins-Stücke diese Wildheit UND Grandiosität. "1986-1992" ist, wer hätte das nicht gedacht, eine Zusammenstellung einzelner Tracks verschiedener Singles, LPs und CDs. Es gehört eine Menge Lust und Mut dazu, diesen besonderen Songs zu lauschen. Der Lärmpegel ist erheblich, Disharmonien und Melodiebrüche sind allerorten zu finden, klassische Regeln der rockmusikalischen Tonkunst versagen ihren Dienst, die Kapelle macht, was sie will. Die Songs sind sämtlichst von Anfang bis Ende komponiert, der Anteil improvisierter Musik tendiert gegen Null, hier mal ein Solo, dort mal ein schmückender Ausrutscher, das war's. Selbst die Pseudosprache, mit Kreisch / Brüll / Schreigesang intoniert, hat ihre festgelegte Struktur. Wer es nicht glaubt, möge sich das Livealbum "Mandala 2000 / Live At Kichijoji Mandala II" anhören oder nur "Praha in spring", hier vertreten. Dieses Duo hat es wirklich drauf. Und weil es Skingraft so gut gefiel, ließen sie sich auf ein zweites Abenteuer mit den Ruins ein. "Refusal Fossil" ist eine außerordentliche Sammlung nett abgedrehter, freitonaler Hardrock-Songs, die mal von Magma, mal vom Avantrock der Siebziger und mal von höheren/undurchschaubaren Ambitionen inspiriert sind. Auch hier gibt es ältere Tracks, aufgenommen zwischen 1988 und 1995 sowie 1997 live mit Gästen eingespieltes Material. Netterweise hat sich auch hier ein Medley niedergelassen, eines dieser Sample-Perlen, die das Duo so gern gibt. Da werden im Sekundentakt die Themen gewechselt. Hier heißt das Stück "Prog Rock Medley", die Band jagt durch den riesigen Kosmos und sammelt dabei etliche Themen, um sie in kürzester Zeit zu einem Monster zu verbraten. Welch Kuriosum! Diese früheren Veröffentlichungen der Avant Rocker haben zudem kräftig Punkrock-Einflüsse, was sich im Sound, in der Intonation / Spielweise und im übersteuerten Sound niederschlägt. Die Töne sind dreckiger, melodische Wechsel wilder, die Themen hier und dort nur angerissen und noch nicht in der Präzision zerstückelt und wieder zusammengebaut, wie dies auf späteren Alben geschieht. Dennoch, hier ist ein geniales, extrem begabtes Team dabei, Toleranzgrenzen auszutesten. Wer den Test besteht, wird süchtig. Die anderen mähen alsdann den Rasen.

Volkmar Mantei



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