CD Kritik Progressive Newsletter Nr.43 (03/2003)
Phoenix - Cei ce ne - au dat nume
(45:48, Electrecord, 1973)
Phoenix - Cantofabule
(72:15, Electrecord, 1975)
Phoenix war die wohl beste rumänische Prog Rockgruppe der 1970er Jahre, bei zahlenmäßig zugegebenermaßen allerdings auch äußerst bescheidener Konkurrenz. Nichtsdestoweniger gelang es der Gruppe eine ganz eigene, individuelle und unverwechselbare Spielart progressiver Rockmusik zu prägen: eine Mischung aus mitunter ziemlich hartem treibendem Rock à la Jethro Tull oder Biglietto Per L'inferno, progressiven Parts mit komplexen Rhythmen und traditioneller rumänischer Musik. Gegründet wurden Phoenix 1965 im westrumänischen Timisoara. Mastermind war der Gitarrist, Flötist und Sänger Nicolae Covaci, der auch das Gros der Titel komponierte. Heute lebt er übrigens als Künstler in Osnabrück und stattet u.a. Diskotheken und Sporthallen mit riesigen Wandgemälden aus (auch ne Karriere...). Wie so viele Bands wurden Phoenix anfangs von den Beatles beeinflusst, deren Titel man auch coverte. Nach einigen gewonnenen nationalen Wettbewerben, ersten EPs mit eigenen Stücken sowie Auftritten in Polen und der CSSR fand man zum eigenen Stil, der auf der ersten Scheibe "Cei ce ne - au dat nume" (etwa: "Die, die uns den Namen gaben") gut dokumentiert ist. Die Hälfte des Albums nimmt dabei ein Songzyklus über die vier Jahreszeiten ein, wobei man unter Zuhilfenahme von Flöten, Geige, viel Percussion und Satzgesang traditionelle Melodien aus dem Banat mehr oder weniger stark bearbeitete. Dabei lassen Phoenix es gitarrenmäßig z.T. richtig krachen, was für eine 1973 auf einem staatlichen Label produzierende Band mehr als ungewöhnlich ist (ausgeschlossen, dass Amiga in der DDR so etwas damals veröffentlicht hätte). Gesungen wird - wie auf allen Alben - in rumänisch, das durch seine weiche, vokalreiche Klangfarbe (romanische Sprache!) gut zur melodiebetonten Musik passt. Der emotionale, dramatische Gesang ist ein weiteres Kennzeichen der Band und erinnert etwas an die italienische Band Metamorfosi. Höhepunkt ist das 15minütige packende "Negru voda" ("Schwarzer König"), dessen ziemlich kriegerischem Text ein rumänischer Volksmythos zugrunde liegt: beginnend mit einem tollen Thema auf der Geige, das von der Band weiterentwickelt und immer wieder an die Geige zurückgegeben wird bis der Song schließlich in sessionartige Soli von Gitarre, Fuzz-Bass und Geige mündet. Abgeschlossen wird das Album mit "Pseudo Morgana", einem treibenden, leicht orientalisch-meditativen Instrumental, dass in Rumänien auch als Filmmusik zum Einsatz kam. Das 1974 entstandene Album "Mugur de fluier" ("Flötenknospe") kenne ich persönlich nicht. Es soll aber im Vergleich zum ersten Werk ruhiger und noch folkorientierter ausgefallen sein. Den insgesamt kürzeren Songs lagen u.a. abermals Texte von rumänischen Sagen zugrunde. Dem konzeptionellen Stil blieben Phoenix auch auf dem 1975 als Doppelalbum erschienenen "Cantofabule" ("Gesungene Fabeln") treu, handeln doch sämtliche Songs von Fabelwesen wie u.a. Einhörnern, Elfen, Sirenen, Käfern und natürlich auch dem Phoenix. "Cantofabule" zeigt die Gruppe auf dem Zenit ihres Könnens, fällt insgesamt härter, rhythmusbetonter und deutlich "progressiver" als der Vorgänger aus und integriert die Folkeinflüsse jetzt auch besser in die einzelnen Songs. Durch einen hinzugezogenen Tastenmann, der vor allem Synthesizer, (E-)Piano und Cembalo bedient, wurde der Gruppensound noch variabler. Insbesondere im mitreißenden Schlussteil des 11minütigen "Delfinul dulce dulful nostru" ("Unser lieblicher Delphin") zieht er sämtliche Register seines Könnens - am besten laut aufdrehen! Direkt das erste, ebenfalls 11minütige Stück "Invocatie" ("Beschwörung") ist schlichtweg grandios: zu Beginn ein pulsierender Synthesizer, in dessen Blubbern ein heavy Gitarrenriff reinknallt, anschließend nimmt das Stück mit treibendem, folkbeeinflussten Rhythmus und kraftvollem Gesang tüchtig Fahrt auf. Nach einem muntereren Folk-Rockteil mit Akustikgitarre, sowie einem mit Bass und Schlagzeug unterlegtem kurzen "Rap" leitet ein kräftiger Beckenschlag erst mal eine Atempause ein: einsame Glockenschläge und Akustikgitarre kreieren eine sagenhaft melancholische Stimmung, der Synthie steigt ein, ein rumänischer Schauspieler rezitiert einige Verse, die Musik wird wieder dramatischer und schlägt einen Bogen zum Hauptmotiv vom Anfang - klasse komponiert und gespielt! Weitere Höhepunkte sind etwa "Cintic-lu a cucuveaua-lliei" ("Eulenlied") mit psychedelisch-bombastischem Folk-Rock, das experimentelle Instrumental "Zoomahia" ("Kampf der Bestien") oder das ans erste PFM-Album erinnernde "Pasarea Calandrinon" mit schönem Duett von Geige und Piano. Wenn auch dieses Doppelalbum seine Längen hat (an manchen Stellen wird deutlich, dass Phoenix auch den breiten Massengeschmack bedienen wollten - bzw. evtl. sogar mussten?) ist dieses insgesamt sehr melancholische Album mit viel Herzblut komponiert und gespielt - und für mich ein echter Meilenstein osteuropäischer Rockmusik. Weiterlesen: www.transsylvania-phoenix.de
Gerald Matuschek
© Progressive Newsletter 2003