CD Kritik Progressive Newsletter Nr.43 (03/2003)
The Gathering - Souvenirs
(43:21, Psychonaut Records, 2003)
The Gathering sind eine von jenen Bands, die sich über die Jahre dermaßen weiterentwickelt haben, dass man eigentlich nie weiß, was auf einem neuen Album bei ihnen zu erwarten ist. Spätestens seit ihrem 98er Werk "How to measure a planet?" (immerhin in den Top 10 der damaligen Lesercharts des Progressive Newsletters) folgte ein Aufbruch in neue Gefilde, weg von den Gothic und Metal Ursprüngen der früheren Tage. Das Vertragsende mit dem Metal Label Century Media, die Gründung des eigenen Labels Psychonaut Records war wohl die Grundlage für den endgültigen Befreiungsschlag, denn mit "Souvenirs" definieren sich The Gathering, nach mehr als dreijährigen Albumspause seit "if_then_else", fast völlig neu. Es wird sicherlich einige geben, die der Band auf diesen Weg nicht folgen werden, was wirklich schade ist, denn mit offenen Ohren lohnt sich die musikalische Neuorientierung, die gleichzeitig der Band sicherlich auch neue Möglichkeiten eröffnen wird. "Souvernirs" ist nicht unbedingt Liebe auf den ersten Blick. Beim ersten Hördurchlauf wirkt vieles noch spröde, abweisend, die träge, dunkle Grundstimmung versprüht eine gewaltigen Hauch von Traurig- und Hoffnungslosigkeit. Ohne die Musik abwerten zu wollen, doch zu Beginn ist man von der scheinbar unspektakulären Art keineswegs beeindruckt. Doch je öfters man in diesem Album eintaucht, um so mehr wächst es, um so mehr entfaltet es seine eigentliche Kraft und innere Schönheit. Doch was hat sich nun musikalisch grundlegend geändert, was die These von einem Neubeginn untermauert? Zuerst zu den Konstanten, wo an erster Stelle natürlich die unverwechselbare, engelsgleiche Stimme von Anneke van Giersbergen steht. Dann wären da noch die typischen The Gathering Stimmungen und Emotionen, das Spiel mit Dynamiksprüngen, mit traumhaften im Gedächtnis bleibenden Melodielinien, wobei die Band damit auf "Souvenirs" viel unterschwelliger arbeitet. Zuerst fällt das Tempo auf, denn fast alle Nummern bewegen sich im langsamen Mid Tempo Bereich. Vorbei die Zeiten, wo rockige Kracher für Tempoverschärfung und Losrocken sorgten. Völlig geändert hat sich am dramatischsten der Gitarrensound. Die mächtigen Gitarrenriffs von früher, die immer wieder mal reinkrachten, sind völlig verschwunden, dafür sind die Sounds viel vielschichtiger gestaltet, insgesamt zurückgenommener, aber dennoch sehr geschmackvoll und variabel eingesetzt. Mehrfach erinnern die Sounds an die experimentellen Wege, die bei U2 bei "Achtung Baby" und "Zooropa" beschritten wurden. In den Vordergrund hat sich eine Mischung aus elektronischen Klangfarben im Zusammenspiel mit organischen Klängen gearbeitet. Vieles klingt von der Ausprägung her kaputter, experimenteller, wobei hier eindeutig die Handschrift von Produzent Zlaya Hadzich (Motorpsycho, Sonic Youth, Low) deutlich wird. Erstaunlich auch, dass viele Songs sich zwar im 5 Minuten Bereich bewegen, man aber meint, sie seien viel länger, da von der inhaltlichen Dichte einfach viel passiert. Groove, Loops und trippige Ambient-Stimmungslandschaften bestimmen den modernen Sound, der zwar neu, aber doch irgendwie nach The Gathering klingt. Weiterhin ist "Souvenirs" auch ein Album der inneren Gegensätze. Als krasser Gegenteil gegen die fast schon psychedelische, trippige Grundstimmung, entpuppt sich "You learn about it". Ein einfach gestrickter mit schönen Effekten versehener Song, der wahrscheinlich die schönste Ballade in der Bandgeschichte darstellt. Wie ein roter Faden durchzieht das Album das Spiel mit Klängen und Stimmungen. Doch hat dies nichts mit Avantgarde, Experimentalmusik oder ähnlichen zu tun, geblieben ist ein solides Rockgerüst, welches jedoch sehr interessante Ausschmückungen erfährt. "Souvenirs" bietet moderne, alternative Rockmusik auf hohem Niveau, die zeitlose Schönheit ausstrahlt.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2003