CD Kritik Progressive Newsletter Nr.38 (01/2002)

Univers Zéro - Crawling wind
(42:37, Cuneiform, 1979-84)

Dieses hatte noch gefehlt. Nachdem alle weiteren Alben von Univers Zéro auf CD aufgelegt sind, können diese ursprünglich nur in Japan als 12" EP aufgelegten Songs endlich in die wartenden Ohren der weiten Welt gelangen. Der Back-Katalog von Univers Zéro ist nunmehr bestens aufgearbeitet. Zu den ursprünglichen Songs von "Crawling wind", nämlich "Toujours plus á lïest", "Before the heat" und "Central Belgium in the dark" sind 3 Bonusstücke gekommen, live eingespielte und bisher unveröffentlichte Versionen von "Influences", "Triomphe des Mouches" und "Complainte". So kommt die CD auf die Länge von über 42 Minuten. Musikalisch bewegen sich die drei Originale zwischen ihren Alben "Ceux du dehors" und "Uzed", die folkloristischen Elemente haben den schauerlichen Charakter und die quasi klassischen Momente, die Univers Zéro zu DER New Chamber Band gemachte haben, stehen abstrakt, steif und hoch aufragend dazwischen. Wären diese Töne Menschen, würde ich vor Angst schauern, da sie aber abstrahierte Figuren, Spiegel sind, genieße ich den gruseligen Ausdruck, die schwere, düstere, tief abgründige Musik, die mit Violine, Cello, Keyboards, Schlagzeug, Synthesizern, Klarinette und Bass zu dunkler Klarheit findet. Besonders schön ist das eröffnende "Toujours plus á l'est", dessen mittelalterlich-folkloristischer Beginn sich zu einer fulminanten und quasi bombastischen Größe auftut, dass mir Gänsehaut den Rücken hoch läuft. Das harmonische Zusammenspiel von Violine, Klarinette, Piano und Schlagzeug wird von Synthesizern aufgebrochen, mit schräger, amelodischer, großer Note zerstückelt und melancholisch weit, bis sich die kleinen Instrumente wieder finden, Harmonie entfalten und eine schwere rhythmische Note sich auftut, die wie im Heavy Metal unter der weiten Melodiefläche ein vulkanisch-berstendes Monstrum legt. Geniales Arrangement! Das folgende "Before the heat" beschwört die Atmosphäre eines verlassenen Geisterschiffes im Nebel herauf. Wie es plötzlich düster aus den Schwaden sich erhebt und als Berg dahinzieht, geheimnisvoll still, nur von metallenen Geräuschen markiert und eine Ahnung von schrecklichen Vorgängen hervorrufend, da lauscht der Hörer nach verschollenen Stimmen, nach Wehklagen und ihm ist, als würde er wahrnehmen, was nicht sein kann. Grausig! Das fast 10 minütige "Central Belgium in the dark" ist zerfahrender, von improvisativer Natur. Zerklüftet, mit schrillen Bergen, windigen, verschwankten Noten oder tief gähnenden Abgründen. Doch nach und nach formt sich die Landschaft zu modern-klassischer Form und selbstbewusst greifen die nebeneinander agierenden Instrumente zu Melodiefetzen, die sie genüsslich zerspielen, um auf dem Höhepunkt ihrer Zerstörungsorgie zu einer plötzlich harmonischen Stille zu finden, die von Größe spricht. Der Nachhall reißt disharmonische Lücken, zerfrisst Melodien und wird zu dem Monster, dass schon im ersten Song so furchterregend Figur annahm. Die drei Bonussongs stehen dem in nichts nach, von Live-Atmosphäre ist nichts zu spüren, das Publikum schien gebannt und erstarrt von dieser aufwendig-großartigen, hinreißenden Musik. Gerade die kreischend-disharmonischen Sprengsel in "Influences", die der dynamischen Gruppenimprovisation Gewalt antut, oder die verschwommene Struktur mit starkem Rhythmus im nunmehr 10minütigen "Triomphe des Mouches", aber auch die Lethargie von "Complainte" sind hervorragende Beispiele der ausgezeichneten Kunst der Belgier, meisterhafte Musik nach altem europäischen Vorbild zu schaffen und der Rockmusik damit eine neue Dimension zu geben. Endlich ist "Crawling wind" veröffentlicht worden. Allen Freunden der Musik von Univers Zéro kann dieses Kleinod ohne Vorbehalt ans Herz, beziehungsweise Ohr gelegt werden.

Volkmar Mantei



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