CD Kritik Progressive Newsletter Nr.38 (01/2002)

Fluxury - Lunar Escape Velocity
(71:16, Privatpressung, 2001)

21st Century Symfonic Pop (sic!) - eine seltsame Selbstbeschreibung aus Holland, eine seltsame CD aus den Niederlanden. Schon beim Kontakt mit Bandleader Jos Witsenburg wurde ich gewarnt, seltsame Vocals, seltsame Musik - der Eindruck scheint sich zu bestätigen, das Stück "Unreality" - ein schreckliches Geleier - doch halt, hatte mich Jos nicht vorgewarnt, dass hier absichtlich schräg gesungen wird? Absichtlich - kaum zu glauben... immerhin, die Musik klingt seltsam und schräg genug, ich schalte meine Ohren nicht auf Durchzug, sondern versuche offen zu bleiben. Auch beim nächsten Stück "Pretty perfect" klingt es nicht besser - immerhin diese seltsame Männerstimme wird durch eine seltsame Frauenstimme ergänzt - hey, was soll das eigentlich? So langsam spanne ich ein Netz von Assoziationen: Steve Harley? Gentle Giant? Caravan? The Nits? Wahrlich, je länger ich hier zuhöre, desto mehr höre ich mich in diesen ganz besonderen Sound ein - einiges klingt einfach nur Demomäßig, anderes klingt, wie war das "pretty perfect"? "Pretty strange" würde ich eher sagen - Fluxury zelebriert förmlich eine seltsam befremdliche Mischung aus genialer Eigenständigkeit und grottenschlechter Amateurhaftigkeit, dass ich mich schwer tue, dieses Album einzuordnen. Nur eines ist das Album nie: gewöhnlich. Gehen wir einmal davon aus, dass nicht alles hier gewollt "dilettantisch" klingt und gehen wir vielleicht auch davon aus, dass nicht alles, was hier genial befremdlich und sensationell, unerhört, frech, unverschämt klingt, auch an dieser Stelle so gemeint war. Was soll das hier? Symfonic? Symphonisch mit einem Schreibfehler? Symphonisch ist das aber nicht - eher spartanisch und natürlich hat das Album Schwächen in der Produktion, und natürlich hätte man einige Songs auch einfach weglassen können, aber würdige ich damit wirklich den Mut der Band? Wahrlich, nicht alles ist auf diesem Erstling gelungen und man kann ihm förmlich die (etwas überzogene) künstlerische Ambition anhören, mit dem das Album eingespielt wurde - doch hinter Fluxury steckt ein großes Potential: Gebt diesen Jungs (und Mädels) die technischen Möglichkeiten und einen Produzenten, der die Spreu vom Weizen trennen kann und Fluxury könnte mit ihrem strangen, befremdlichen Sound in der europäischen Szene wahrhaft Furore machen. Das faszinierende, das wirklich faszinierende an diesem Album, ist nämlich genau dieser eigene, sich nun wirklich nicht am Mainstream orientierende Sound, sich auch nicht am oppositionellem Sound orientierende Stil der Band, Fluxury ist eigentlich schon jetzt nur Fluxury! Was hier angedeutet und leider viel zu selten wirklich greifbar ist, ist ein Bandkollektiv mit dem Zeug für the next big thing aus den Niederlanden, freilich nur, wenn wir uns noch in den 70ern befinden würden und das experimentelle der Band nicht am antiseptischen, klinisch- perfektem Sound der Szene gemessen werden würde. Wer auch nur ein paar Funken Mut in sich hat, der sollte sich das Album für schlappe 12 ? Euro besorgen, nicht weil es rundum gelungen ist (denn das ist es nicht), sondern weil es so unglaublich mutig ist - schrägeres habe ich in Verbindung mit so (offenbar geplanten) Vocalharmonien schon lange nicht mehr von einer young emerging band gehört - anstatt sich anzubiedern, kultiviert Fluxury das Imperfekte. Hats off, es bedurfte einer mutigen Band aus Holland, um mich daran zu erinnern, dass wir dies alles aus Idealismus und aus Liebe zur Vielfalt tun - we're not in for the money.

Sal Pichireddu



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