CD Kritik Progressive Newsletter Nr.37 (11/2001)
Leonardo - The absolute man
(65:53, Magna Carta, 2001)
Jahrelang geisterte die Idee von einem Konzeptalbum über das Leben Leonardo Da Vincis durch die progressive Gerüchteküche. So lange, dass es schon fast den Anschein hatte, das dieses Projekt wohl nie vollendet wird oder es sich einfach nur um geschickt platzierte Promotion eines Marketing-Gags handelte. Ursprünglich von Magna Carta Chef Peter Morticelli konzipiert, fand sich mit Trent Gardner (Magellan, Explorer's Club) der entsprechende Musiker - zufälligerweise auch noch bei Magna Carta unter Vertrag - der letztendlich dieses Konzept wirklich musikalisch umsetzte, Musik, Texte und Arrangement in einen Gesamtzusammenhang steckte. Als Instrumentalisten werkelte im Kern die halbe Mannschaft von Dali's Dilemma (logischerweise auch bei Magna Carta unter Vertrag), sowie die beiden Gardner Brüder mit, die Gastsänger/innen lesen sich zudem wie ein Who's who der momentanen amerikanischer Prog/Heavy Szene. Den Charakter des Leonardo übernahm Dream Theaters James La Brie, in Gastrollen treten u.a. Steve Walsh (Kansas), Mike Baker (Shadow Gallery), Bret Douglas (Cairo), Lisa Bouchelle (Mastermind), Robert Berry und Michelle Young auf. Überflüssig zu erwähnen, dass natürlich (fast) alle auch sonst unter der Fahne von Magna Carta werkeln. Doch genug der Vorgeschichte, was bietet nun musikalisch dieses Konzeptwerk? Zum einen hat sich Trent Gardner dieses mal wesentlich mehr auf die akustische, melodische, wie auch sinfonische Seite geschlagen und es gibt nicht nur abgehackten Prog Heavy Bombast Marke Magellan. An manchen Stellen wird die wandlungsfähige Stimme LaBrie's einfach nur vom Klavier getragen, dann klingen die Ideen der ruhigen Seite des letzten Dream Theater Outputs "Scenes from a memory" angelehnt. Insgesamt wirkt vieles theatralischer, etwas Musical-mäßig angehauchter, pompöser, als man dies vielleicht erwartet hätte. Doch erinnern genügend Schmetterchöre und breaktechnisches Gehacke, sowie auch gelegentliche Posauneneinsätze an den typischen Gardner Stil, den man entweder liebt oder wegen seiner gnadenlosen Übertreibung hasst. Zur besseren Einordnung dieser Kritik: ich gehöre eindeutig zu den Erstgenannten. Anfangs braucht man aber dennoch etwas Gewöhnungszeit, um sich in dieses Werk hineinzuhören, da man sich erst mit dieser Art Prog-Rock-Musical anfreunden muss. Manchmal singen hier einfach zu viel Sänger, anscheinend nur auf Effekte und stimmliche Abwechslung ausgerichtet, durcheinander. Vieles ist bei diesem Werk auf die Stimmen ausgerechnet, instrumentale Frickelorgien geraten somit ins Hintertreffen. Auch wirkt es etwas störend, dass manche Tracks einfach lieblos ausgeblendet werden und nicht harmonisch ineinander übergehen. Doch immer dann, wenn die Instrumentalfraktion es richtig krachen lassen darf, wobei nicht nur die Technik, sondern auch Stimmungsaufbau im Vordergrund stehen, gewinnt das Album an Format. Besonders stark sind auch diejenigen Tracks, die mehr auf einzelne Stimmen zugeschnitten und akustisch verhaftet sind, wie z.B. das wunderbare Duett von Steve Walsh und Michelle Young bei "First commission". Anhänger des typischen Trent Gardner Stils werden enttäuscht sein, auch erreicht "Leonardo" nicht die Qualität anderer Gardner Produktionen wie z.B. Steve Walsh letztes Soloalbum oder Explorer's Club. So kann zwar "Leonardo - The absolute man" nicht alle, vielleicht auch zu hoch gesteckte Erwartungen, erfüllen, nach der Hineinhörphase hat dieses Album jedoch durchaus packende Momente. Zudem wurde die Lebensgeschichte Leonardo Da Vinci facettenreich umgesetzt und man erfährt mehr vom Leben eines Mannes, der seiner damaligen Zeit, um einige voraus war.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2001