CD Kritik Progressive Newsletter Nr.36 (07/2001)
Halloween - Le festin
(53:47, Musea, 2001)
Bei den marktschreierischen Werbesprüchen überschlagen sich manche Vertriebe geradezu ins Uferlose. Wenn man alles ernst nehmen würde, so erscheint fast jede Woche die Platte des Jahres, des Jahrzehnts, des Jahrhunderts aufs neue und die Grundfeste der Musik werden täglich neu definiert. Doch steckt hinter manch salbungsvoller Botschaft manchmal wirklich mehr. So ordnet z.B. der holländische Vertrieb Distribee Halloween als eine der besten drei französischen Progressive Rock Bands der letzten zwei Dekaden ein. Und diese Behauptung lässt sich ohne langes Überlegen definitiv bestätigen. Was macht nun die Band aus Brest so einzigartig, qualitativ interessanter bzw. besser als andere Vertreter? Zum einen haben es die Franzosen trotz Vergleichen zu VdGG und U.K., die sich hauptsächlich auf die Arbeit des klassisch ausgebildeten Geigenvirtuosen Jean-Philiooe Brun beziehen, ihre ganz eigene Nische gefunden. Wuchtiges oder sachtes Geigenspiel schafft es zusammen mit komplexen Rhythmen, zum Teil recht heftigen Gitarrenriffs und oftmals disharmonische Keyboards ganz eigene Klanggemälde zu kreieren, die zudem von der fantastischen Gastsängerin Géraldine Le Cocq brillant verfeinert werden. Expressive Gefühlslandschaften wühlen auf, schaffen den Brückenschlag von der Melancholie französischer Chansons, über leichtfüßigen Jazz bis hin zu komplexen, unheimlich druckvollen Progressive Rock. Im Vergleich aller fünf Studioalben, wurde bei "Le festin" wahrscheinlich am konsequentesten vorgegangen. Noch nie klangen Halloween derart aggressiv, bombastisch, wurden fragile Momente in einen derart wuchtigen Zusammenhang gesteckt. Das Quartett lässt die Musik leise flüstern, laut schreien, verquickt harmonisches mit extrem sperrigen, ohne dabei zu konstruiert zu wirken. Zudem schöpft die Band aus dem ganzen nationalen Fundus der eigenen Heimat, erhält nicht nur die französische Tradition, sondern lässt auch arabisches, orientalisches Flair einfließen, macht aus ihrem Album einen Gang durch die verschiedenen in Frankreich lebenden Kulturen. "Le festin" ist kein einfaches Album, man bekommt aber bei der Erarbeitung seines Inhalts als Gegenleistung für genaues Zuhören fast jegliche Regung der Gefühlsskala geboten. Man erfährt, erlebt diverse diffizile, aber auch sanfte Schattierungen, die einem emotionale, progressive Musik bieten kann. Und so kann ich nur mit einem fett gedruckten, sehr zutreffenden Kommentar aus dem Booklet enden "Halloween is good for you". Ein grandioses Album voller Extreme.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2001