CD Kritik Progressive Newsletter Nr.36 (07/2001)
Air - 10.000 Hz Legend
(60:46, Source, 2001)
Wie Vorabsingles doch glücklicherweise täuschen können. "Radio #1" wurde im Vorfeld der Veröffentlichung von Airs neuem Studioalbum "10.000 Hz Legend" ausgekoppelt. Ein eher stampfender Synthiepoptitel, dem irgendwie die Höhen, der Glanz früherer Aufnahmen fehlen und der auch ganz locker in den Charts floppte. Sollten den beiden Soundtüftler Dunckel / Godin etwa die Ideen ausgegangen sein? Weit gefehlt, wahrscheinlich trauten sie ihrer eigenen Musik nicht oder die Plattenfirma redete kräftig mit, denn "Radio #1" ist mit Abstand der schwächste Titel des Albums. Wieder hat das Duo sich musikalisch in andere Terrains vorgewagt, somit eine Symbiose aus den Vorgängeralben erschaffen. Geblieben sind die verträumt-psychedelischen Stimmungen, die hier und da an Pink Floyd erinnern, jede Menge Vocoder und elektronische Sounds aus der Vergangenheit. Dass noch im letzten Album "The virgin suicides" massiv eingesetzt Mellotron verschwand leider wieder in der Versenkung. Neu hinzu gekommen sind deutlich mehr Gesang - so leiht u.a. Beck Hansen, besser bekannt nur unter seinem Vornamen, zwei Liedern seine Stimme - und eine wesentlich harmonischere Vermischung aus reiner Elektronik und "echten" Instrumenten. Die wirken Kompositionen nicht mehr ganz so synthetisch, es entstehen kleine Meisterwerke wie das sphärisch-schwebende, über 7½ Minuten lange "Radian" mit Streichern, Flöte und Harfe. Zwar verfallen Air hier und da wieder in die zuckersüße Atmosphäre des Debüts "Moon safari", doch der Gesamteindruck ist erwachsener, gereifter. Oberflächlich betrachtet scheint vieles auf "10.000 Hz legend" lediglich intelligent zusammengeschraubte Popmusik zu sein, doch die antiken Sounds aus den 70ern, sphärisches Geblubber, die sorgsam arrangierten, getragenen Stimmungen, geben diesem Album wesentlich mehr Tiefe und Vielfalt. Ein Album für den Blick über den Tellerrand.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2001