CD Kritik Progressive Newsletter Nr.35 (05/2001)
Códice - Alba y Ocaso
(56:56 + 58:12, Art Sublime, 1999)
Anspruchsvoller, vielschichtiger Prog mit deutlichen Anleihen der 70er aus Mexiko - dieses Sparte schienen bisher Cast für sich alleine gepachtet zu haben. Doch jetzt gibt es endlich etwas Konkurrenz aus dem eigenen Land. Die 1995 gegründeten Códice kleckern richtig ordentlich und legen mit ihrem Debüt "Alba y Ocaso" gleich ein Doppelalbum vor, ein zweites Album ist bereits ebenfalls in Planung. Eins vorweg, da es sich hier zum Großteil um studierte Musiker handelt, die zusammen auch diverse Coverversionen von Genesis, Focus, Deep Purple, ELP und sogar King Crimson oder Magma eingespielt haben, gibt es spieltechnisch erst mal nichts Grundlegendes zu mosern. Vielerlei klassische Versatzstücke, mal rein akustisch, dann wieder rockig versetzt, wurden mit sinfonischen, äußerst melodischen Ideen verbunden, dazu manch flotter Rhythmus, aber auch schräger Taktwechsel - dieses Album fällt einem von Anfang an durch seine angenehm gefälligen Einfälle, flüssigen Ideen auf. Muntere Keyboardläufe, mal modern, mal Richtung 70er (besonders ELP), vor allem brillante Gitarrenläufe zwischen gelungener Härte und Fröhlichkeit, über weite Strecken klingt es richtig sympathisch, was da einem aus den Boxen entgegenklingt. Doch jetzt kommen leider die einigen aber. Lieblingsthema Gesang: die Gastsängerin Marisa Calderón trifft zwar nicht jeden Ton, ist jedoch bei ihrem zwei Auftritten noch im grünen Bereich, Hauptakteur Luis Maldonado hingegen nuschelt etwas gleichgültig seine spanischen Wortfetzen vor sich hin, dass hätte nicht sein müssen, dann lieber rein instrumental. Wie gut dann die Band klingt und was wirklich drauf hat, beweist sie auf vor allem auf der 2.CD, die komplett ohne Gesang richtig schön in der Vergangenheit wühlt und einige der oben bereits erwähnten Coverbands durchscheinen lässt. Jedoch war die Idee gleich ein Doppelalbum vorzulegen war vielleicht etwas zu großspurig, denn nicht immer gelingt es Códice mit den eigenen Ideen die Spannung aufrechtzuerhalten. Stakkatoartige Rhythmushüpfer verwaschen manche Ideen, manchmal fühlt man sich auch an eine schlechtere Italo Prog Produktion mit zu viel Pathos und zu wenig Inhalt erinnert. Im Gesamteindruck überwiegen bei Códice sicherlich die positiven Dinge, auch lässt die Band erkennen, dass in ihnen wesentlich mehr steckt und die Zukunft sicherlich noch positive Überraschungen bringen mag. Ansonsten ist dieses Werk doch wohl eher was für den Sammler lateinamerikanischer Progbands oder jemanden, der bei einer Doppel CD mit einigen Abstrichen leben kann. Nicht wirklich schlecht, nicht überzeugend überragend, eine geglückte Produktion aus dem oberen Mittelfeld.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2001