CD Kritik Progressive Newsletter Nr.35 (05/2001)
Franco Battiato - Fetus
(30:41, BMG Ricordi, 1972)
Franco Battiato - Pollution
(33:07, BMG Ricordi, 1973)
Franco Battiato - Sulle corde di Aries
(32:24, BMG Ricordi, 1973)
Der Sizilianer Franco Battiato gehört schon seit 3 Jahrzehnten zur Avantgarde der italienischen Musik. Kaum ein Genre, für das er nicht Bahnbrechendes geleistet hat. Heuer eher für seine unumstrittenen Meriten als Cantautore besonders lyrischer Prägung bekannt, schrieb Battiato sakrale Messen, Opern, Filmmusik, elektronische Musik, er vertonte Gedichte, interpretierte Lieder von Brahms und Wagner, schrieb minimalistische Stücke für Klavier (das Album "L' egitto prima delle sabbie" aus dem Jahre 1978) ebenso wie Popmusik für sich und für seine Sirene Alice, sang und textete auf Italienisch, Spanisch, Sizilianisch, Arabisch, Englisch und Französisch und unlängst textete er für PFM. Unzählige Alben höchster Qualität sind unter seinem Namen erschienen - begonnen hat er freilich mit progressiver Musik in der ersten Hälfte der 70er Jahre. Um es vorweg zu nehmen, wie bei allem, was Battiato angefangen hat, ist seine eigene Note unverkennbar. Keines der hier vorgestellten Alben hat konkreter etwas mit anderen Exponenten des Italo- Progs zu tun, kein PFM, kein Banco, keine New Trolls, keine Le Orme. Battiato gehört zu jenen Musikern, die stets selbst beeinflusst haben, deren eigene Einflüsse jedoch nicht mehr erkennbar in der eigenen Musik zu hören sind. Sein Debüt als Solist mit dem Album "Fetus" (das übrigens kürzlich vom italienischem Spezialistenlabel Vinyl Magic in einer englischen Fassung erstveröffentlicht wurde) ist Aldous Huxleys Roman "Brave new world" (auf Dt. "Schöne, neue Welt") gewidmet und trägt somit auch sinnigerweise den Untertitel "Ritorno al mondo nuovo" (Rückkehr zur neuen Welt). Es kann mit einiger Berechtigung als eines der originellsten Prog- Alben italienischer Herkunft durchgehen. Elektronische Sounds (kein Mellotron aber der legendäre VCS 3 Synth), Klangcollagen, bizarr anmutende wissenschaftliche Schlagwort- Texte und nahezu dadaistische Wortreihen, das alles eingebettet in durchaus melodischer (im besten Sinne typisch italienischer) Musik, machen dieses Album zum Unikum. Einen Schritt weiter noch geht Battiato mit seinem zweiten Album "Pollution" nur ein Jahr später. In konsequenter Evolution seines provokanten Stils, gelingt es Battiato auf dieser Scheibe ein noch ausgewogeneres Verhältnis zwischen Inspiration und Inhalt zu schaffen, voller winziger genialer Einfälle zwischen exzentrischen Physiktheorien und Endzeitvisionen (das Album ist dem Centro Internazionale Studi Magnetici - dem "internationalem Zentrum für magnetische Studien" also - gewidmet), rückwärts gesungenen Texten und Sinnfragen des Lebens. Es wäre viel zu einschränkend, würde man von elektronischem Prog reden, obwohl der VCS 3 auf diesem Album allgegenwärtig ist. Es wäre zu einschränkend, weil Battiatos Stil in Wirklichkeit nicht viel gemein hat mit den Exponaten dieses (oder eines anderes) Genre. Sein drittes Album "Sulle corde di Aries" leitet klugerweise eine Kehrtwende des progressiven Battiato ein, weg von der songorientierten Struktur, hin zu instrumentalen Musik, die nur noch selten von Texten begleitet wird - diese haben es aber mehr denn je in sich. Da wird mal eben ein Biermann'scher Text über Krieg und Gewalt, über die (zweifelhafte) Ästhetik der linken Terror- und Revolutionsromantik. Ein Text, der so tief im Bewusstsein der damaligen Zeit verwurzelt ist, dass er auf uns heute so befremdlich wirkt, dass wir kaum glauben können, dass es sich dabei letzten Endes um ein zeitgenössisches Werk handelt. Musikalisch präsentiert sich Battiato auf diesem dritten Album endgültig ausgeprägt - er löst sich zunehmend vom Autoren- und Musikerkollektiv, dass sich noch für die ersten beiden Alben verantwortlich zeichnete und entwickelt einen Sound, der ihn bis heute charakterisiert. Unverkennbar nun die orientalischen Einflüsse, die Battiato auch später immer wieder aufgreifen wird. Musikalisch ist dieses Album noch schwerer einzuordnen, immerhin erkennt man am ehesten nun Einflüssen der Canterbury-Szene, diese jedoch in einer sehr eigenen - wie soll ich sagen: sizilianischen - Interpretation (um es polemisch zu sagen: Von Canterbury nach Catania), ohne jeden Zweifel seines bestes und reifstes Album bis dato und wäre es nicht jenseits der italienischen Landesgrenze nahezu unbekannt, würde ich mich nicht scheuen es zu den ganz großen Klassikern zu zählen. Die geringe Laufzeit der hier vorgestellten Alben wird durch einen extrem niedrigen Verkaufspreis kompensiert: Nicht einmal 7 Euros muss man pro Album dafür hinblättern und sie sind jeden einzelnen Cent wert. Es gibt immer noch wahre Schätze des italienischen Progs, die es zu entdecken gilt. Battiato ist meine wärmste Empfehlung.
Sal Pichireddu
© Progressive Newsletter 2001