CD Kritik Progressive Newsletter Nr.35 (05/2001)
Banco Del Mutuo Soccorso - En concierto Mexico
(40:48 + 44:56, Sol & Deneb, 2000)
In Norditalien an einem lauen Juliabend im Jahr 1999. Die Sonne war bereits untergegangen, über dem mittelalterlichen Schlosshof hat sich eine angenehme südländische Gelassenheit gelegt, doch das angeregte Gemurmel unter den Menschen verstummte, als die vor ihnen liegende Bühne in samtenes Licht getaucht wurde, die Musik langsam anschwoll und eine gedrungene, auf den ersten Blick unscheinbare Gestalt die Bühne betrat. Doch die Stimme dieses zwergenhaften Geschöpfes erfüllte plötzlich den gesamten Platz mit seinem großartigen, voluminösen Gesang, die Menge lauschte ergriffen und es folgte ein Konzert, dass fast 2½ Stunden die Anwesenden in seinen Bann zog. Um diese verträumte Einleitung wieder in die Realität zurückzuführen: es war am Abend des 18.Juli 1999 in Vigevano, als ich das unsagbare Glück hatte, eines meiner emotional mitreißendsten Konzerte erleben zu dürfen: es waren Banco, die an diesem Abend definitiv einen neuen Fan gefunden hatten. Einen Monat zuvor war das nun auf Doppel CD vorliegende Konzert auf der anderen Seite des Atlantiks aufgezeichnet worden. Banco spielten in Mexiko und auf leider viel zu kurzen rund 85 Minuten (da hätten sicherlich auch noch Klassiker wie das damals gespielten "Metamorforsi" oder "750.000 anni fa...l'amore?" draufgepasst) bekommt man einen nur hör- und fühlbaren, aber nicht sehbaren Eindruck einer der besten, wenn nicht sogar definitiv der besten Italo Prog Band. "En concierto Mexico" macht einen Streifzug durch die nahezu 30-jährige Bandgeschichte dieser einmaligen Band. Die poppige Phase der 80er wurde wohlweißlich ausgelassen, so dass neben einigen, geradlinigeren aktuellen Titel, vor allem die 70er ihre Renaissance erfahren. Die typisch südländische Mischung aus ergreifendem Gesang, Theatralik mit Pathos, die aber Tiefgang hat und nicht nur durch ihre Dramatik fehlende Substanz übertüncht und sinfonischer progressiver Klänge, denen auch folkloristische Schlenker nicht fremd sind, diese Mischung wühlt auf und sorgt doch für musikalische Wohlbefinden. So wie Francesco Di Giacomo den Frühling im "Canto di primavera" anfleht, Vittorio Nocenzi mit voller Keyboardbreitseite "La conquista delle posizione eretta" in Schwung hält, bei "L'evoluzione" Keith Emerson bestens Paroli bietet oder auch "R.I.P." keineswegs todeslangweiligen Schwung verbreitet, so etwas kann nur eine Band aus Italien schaffen. Doch als Gegensatz zu aller Dramatik gibt es typisch leichtfüßiges südländisches Flair, dass vielleicht manchem zu flach und langweilig klingen mag, diesem Album aber die richtige Balance verleiht. Nimmt die Band Tempo zurück, dort wo gerade noch progressiv in den 70ern gewütet wurde, erklingt auf einmal grooviger Rock, der dennoch keineswegs banal wirkt. Man mag Italo Prog nun mögen oder hassen, eines bleibt aber unbestreitbar: gerade die wirklich guten italienischen Bands schaffen es immer noch Gefühle ehrlich und keineswegs kitschig oder peinlich herüberzubringen. So bleibt neben der Erinnerung an einen wunderbaren Sommerabend in Italien, immerhin noch diese Doppel CD, die einige Momente eines einmaligen Konzertes wiederaufleben lässt.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2001