CD Kritik Progressive Newsletter Nr.32 (10/2000)

The Gathering - if_then_else
(52:53, Century Media, 2000)

Vielleicht waren sich The Gathering selbst nicht ganz geheuer, wie weit sie mit ihrem letzten Album "How to measure a planet?" gegangen waren. Vielleicht doch etwas zu viel moderne Elemente, Einspielungen, elektronische Sounds und Spielereien mit denen man einige Fans verschreckte, die Kritiker aber begeistern konnte. Und so hieß es zumindest in den Vorankündigungen, dass man auf "if_the_else" wieder gitarrenlastiger und härter werden wollte, eine Rückkehr also mehr zu Zeiten von "Mandylion" und "Nighttime birds". Hört man sich durch die ersten beiden Titel des neuen Album, so scheint sich diese Aussage zu bestätigen, denn sowohl die Single "Rollercoaster", als auch der krachend-mystische Rocker "Shot to pieces" lassen eindeutig Back-to-the-roots Tendenzen erkennen. Doch bereits mit "Amity" lösen sich die Holländer von ihren Metal Wurzeln, machen reichlich von Loops Gebrauch und binden selbst eine Violine in ihre mehr schwebenden Klänge ein, über denen, wie immer die ätherische, mächtige-Bergmassive-einreißende Stimme von Anneke van Giersbergen thront. Es ist vor allem dieser eigenständigen Verschmelzung aus harten und leisen Tönen, aus Vergangenheit und Moderne zu verdanken, dass sich The Gathering eine ganz eigene Nische im Rockzirkus erspielt haben, die Sie dieses Jahr sogar zum Headliner des Bizarre Festivals emporsteigen ließ. Sicherlich, in den Grundzügen ist "if_then_else" wieder kerniger, aber sowohl durch die Einbindung diverser Gastmusiker (Horn, Posaune, Cello, Violine), die Benutzung allerlei antiken Instrumentariums und moderner Sounds, klingen The Gathering immer noch frisch und aktuell. Die besondere Stärke der Band liegt darin, dichte, atmosphärische Klanglandschaften aufzubauen (mehr als einmal kommt Pink Floyd Feeling der frühen 70er auf), aus denen immer wieder verzahnte Gitarrenriffs, flächendeckende Keyboards und natürlich die Stimme der Frontfrau ausbrechen. Stilistisch ist dieses Album nur sehr schwer einzuordnen, aber durch den Ideenreichtum, die Stilvielfalt passt hier das Wort "progressiv" im eigentliche Sinne seiner Bedeutung. Mit diesem einerseits griffigen, aber anderseits auch sehr melancholischen, teils schon fast psychedelischen Album beweist das Flagschiff von Century Media, dass es auch im 21.Jahrhundert immer noch auf dem richtigen Kurs zu neuen Ufern ist. Eigenständiger, moderner Rock abseits aller Klischees.

Kristian Selm



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