CD Kritik Progressive Newsletter Nr.30 (05/2000)
Gerd Weyhing - The Inside World / Soundscapes III
(74:41, Privatpressung, 2000)
Ohne jeden Zweifel, elektronische Musik führt in der Musiklandschaft, auch in der progressiven, ein Schattendasein. Sie macht es einem nicht leicht, zu verstehen, zu erfassen, was sie an Bedeutung transportieren will, der Hörer muss sich ganz auf seine Intuition verlassen. Das Ergebnis ist dann freilich stets subjektiv. Elektronische Musik bietet keinen doppelten Boden, kein Netz, kein Handbuch in Form eines braven Booklets mit klugen Texten, elektronische Musik will Stimmungen erzeugen, will Bilder zeichnen, will den Hörer, mit einer der abstraktesten Formen der Musik den Hörer zu den emotionalsten Resultaten einladen, verführen. Soundscapes, jede von Robert Fripp quasi erfundene Spielart der (elektronischen) Musik trägt im Namen schon ihr Konzept - Klanglandschaften, Bilder und Klänge im günstigsten Fall geradezu destilliert. Ein Album elektronischer Musik, ein Soundscapes- Album ist also stets für den Hörer ein Abenteuer, denn entweder rauscht die Musik ungehört, unverstanden an ihm vorbei oder sie nimmt ihn mit auf eine wundersame Reise. Ein wundersame Reise in die innere Welt, jene "Inside World", die uns hier Fripp- Zögling und Brightness Falls- Gitarrist Gerd Weyhing präsentiert - seine eigene also - oder, um mit seinen eigenen Worten zu sprechen: "Musik, immer zwischen Verzweiflung und Erlösung schwankend." Mehr noch "The Inside World" ist ebenso ein Schlüssel zu sich selbst, zur eigenen Verzweiflung, zur eigenen Erlösung, zu eigenen Gefühlen. Diese Musik ist wie ein Gedicht, dass jeder Hörer selbst schreiben kann, schreiben soll, wenn er den Mut dazu findet. Weyhings Soundscapes klingen erstaunlich reif (der Untertitel "Soundscapes III" weist also nicht ganz grundlos auf bisher noch unveröffentlichte Volumina früheren Datums hin), erstaunlich individuell. Seine Soundscapes flackern, sind ruhelos, finden zwar immer wieder einen ruhigen Punkt, von dem man aber bald schon fortgetragen wird, wie auf einer Reise in einem Zug durch verschiedene Landschaften. Das Album besteht aus 18 zusammenhängenden Tracks und wirken im Aufbau fast wie ein Drama, denn die (An-)Spannung steigert sich kontinuierlich dem Ende zu und es bleibt der Lesart zu Zuhörers überlassen, ob er nun angekommen ist oder seine Reise einfach ein anderes Mal fortsetzen wird. Ein wundervolles Album, im wörtlichen Sinne, ein Album voller Wunder, voll (scheinbarer) Entsprechungen zwischen der Musik und der eigenen Gefühlswelt. Dem Unterzeichnenden bleibt nur die Hoffnung, dass Weyhings Musik nicht im Chaos der zahllosen Veröffentlichungen untergeht und dass ihn die Resonanz auf "The Inside World" dazu ermutigt, sowohl die frühere Volumina an Soundscapes, als auch neue Aufnahmen bald zu veröffentlichen. Weyhing ist ein Name, den man sich, nicht nur als Soundscapes- Freund, merken sollte.
Sal Pichireddu
© Progressive Newsletter 2000