CD Kritik Progressive Newsletter Nr.28 (12/1999)

Yes - The ladder
(60:27, Eagle Records, 1999)

Meine Einstellung zu Yes ist glasklar: Yes zwischen 72 und 76 ist für mich unbestritten das Größte, Alben wie "Tales from topographic oceans", "Close to the edge" oder "Relayer" sind einfach unerreicht. Bei "Tormato" war der musikalische Abstieg schon erkennbar, "Drama" halte ich (für mich damals überraschend) noch für sehr gelungen - dann folgte die Rabin-Zeit, die US-Yes-Variante. Zwar auch zum Teil genial (siehe "Changes", "Endless dream" etc.), doch bedingt durch den Rabin-Mainstream-Einfluss nicht die echten Yes, wie ich sie bevorzugte. Zwar sehr gut gemacht - aber eben nicht die wahren Yes. Zwischenzeitliche spätere Ausflüge in die 70er-motivierte Richtung (ABWH, "Keys to ascension") waren zwar gern gesehen (und gehört), doch irgendwie fehlte die letzte Konsequenz. Live waren Yes zu jeder Zeit immer wieder ein Erlebnis, doch die Studioalben waren für Yes Verhältnisse oft einfach zu schwach (Beispiel "Union"). Den für meinen Geschmack absoluten Tiefpunkt erreichten sie mit "Open your eyes", das ich eigentlich gar nicht mit Yes in Verbindung bringen möchte. Entsprechend skeptisch war ich bei der Ankündigung des neuen Albums - "The ladder". Was mir zuerst auffiel: im Gegensatz zum Vorgänger, das eigentlich eher mit Rabin hätte eingespielt werden sollen, ist beim aktuellen Werk der Einfluss von Steve Howe wieder deutlich herauszuhören. Yes agieren wieder voller Spielfreude, vielen Songs haftet ein gewisser Gute Laune-Faktor an, wie z.B. "Face to face", "To be alive" oder auch dem Hit "Lightning strikes", der an "Teakbois" vom ABWH-Album erinnert. Dies ist halt eine Spaß-Nummer, die nicht unbedingt ernst zu nehmen ist. Mit diesen kommerziellen Songs, die nun wahrlich nicht zu den Höhepunkten des Albums zählen, kann ich aber leben, zumal es diesmal einige wirkliche Highlights und zukünftige Yes-Klassiker gibt. Den Vogel schießt dabei der knapp 10-minütige Eröffnungstitel "Homeworld (the ladder)" ab, für mich der beste Yes-Song seit 20 Jahren! In diesem Oberknaller stimmt wirklich alles - Gesangsarrangements, Abwechslungsreichtum, Howe-Soli, bei denen ich vor meinem geistigen Auge den Meister auf der Bühne wieder ordentlich rumzuckeln sehe, und ein glänzend aufgelegter Igor Khoroshev, der berechtigterweise zum konstanten Line-Up gezählt wird und hier voll den Wakeman macht. Klasse Orgel-Einsatz, mellotronisierte Stimmen - alles dabei. Oft komme ich nicht dazu, den Rest des Albums zu hören, da dieser Eröffnungstitel wieder und wieder läuft. Allein dieses Stück Musik rechtfertigt schon das komplette Album. Endlich wieder ein neuer Song, den man unbedingt beim nächsten Yes-Konzert hören will. Seien wir ehrlich, wann hat es das zum letzten Mal gegeben? Aber es gibt noch weitere Glanzpunkte auf diesem Album, so z.B. der 9-Minüter "New language". Im kurzen "Can I?" zitieren sich Yes übrigens selbst, nämlich "We have heaven" vom "Fragile" Album. Was ich allerdings nach wie vor nicht verstehe, ist, was ein Durchschnittsmusiker namens Billy Sherwood in dieser Band voller Hochkaräter zu suchen hat - er wirkt hier für mich ähnlich deplaziert wie ein deutscher Balltreter in der brasilianischen Fußballnationalelf. Als Gitarristen halte ich ihn in dieser Band für völlig überflüssig, was er aber offensichtlich gut beherrscht, sind die Vokalarrangements - aber brauchen Yes ihn wirklich ? Ich habe mir übrigens die streng limitierte Auflage mit Poster, laufende Nummer 41980, zugelegt - wenn das mal nicht eine tolle Rarität ist! Andererseits gibt es auch eine Auflage mit CD-Rom-Extra, Screensaver etc.). Die Produktion ist erstklassig, das Cover stammt mal wieder von Yes-Spezi Roger Dean. Ich bin mal gespannt, wie sich dieses Album verkauft und wie es von der Yes-Fangemeinde aufgenommen wird. Mir macht dieses Werk jedenfalls viel Spaß.

Jürgen Meurer



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