CD Kritik Progressive Newsletter Nr.25 (05/1999)

Cyan - The creeping vine
(55:44, F2 Records, 1999)

Viel kann in fünf Jahren passieren. Deine Plattenfirma geht pleite, deine Drummaschine geht kaputt und Du nimmst ein neues Album auf. Genau dies passierte Cyan respektive Multiinstrumentalist Rob Reed, der zusammen mit Sänger Nigel Voyle dieses musikalische Duo komplettiert. "Pictures from the other side" erschien 1994 noch beim holländischen SI Label und gehörte dort sicherlich zu den besten Erscheinungen (was bei dem ansonsten dort erscheinenden melodischen Weichspülsound-Einheitsbrei nicht besonders schwierig war). "The creeping vine" beinhaltet nun genau die Stärken, die schon den Vorgänger ausmachten: Kraftvoller Neo Prog keltischen Ursprungs mit sofort gefangennehmenden Melodien, genügend Abwechslung auch durch ruhige Passagen, sowie sinfonischer Bombast, wirklich gute Gitarren- und Keyboardarbeit und endlich mal wieder ein Sänger, bei dem man gerne zuhört. Dass in den vier Jahren der Drumcomputer aussortiert wurde, tut wohl am wenigsten weh, denn ein menschlicher Schlagzeuger klingt doch um einiges besser (sofern er richtig in Felle haut). Als kleines Extra steuert neben anderen Gastmusikern Nick Barrett bei einem Stück etwas Gitarre bei, wodurch "Home" völlig überraschenderweise gleich einen leichten Pendragon Touch abbekommt. Zur gesanglichen Unterstützung wurde ebenfalls wie beim Vorgänger Christina Murphy verpflichtet, die einige nette Lalalas und aaaahs beisteuert. Rob Reed erinnert an der elektrischen Gitarre in seiner Spielweise manchmal an die schwirrende Akkorde eines Mike Oldfield, wie er ebenfalls auch die weinerliche Schiene drauf hat. Was Cyan gegenüber anderen britischen Neo Prog Bands auszeichnet, ist das unnachahmliche Gespür für Melodien, welches andere hinsichtlich technischen Könnens meist vergessen. Und ein kleiner Seitenhieb darf auch nicht fehlen: die Songs wirken wesentlich interessanter als das noch später vorgestellte glattgebügelte "Beat the drum" von Pallas. Kein Meilenstein, aber dennoch ein sehr schönes Album.

Kristian Selm



© Progressive Newsletter 1999