CD Kritik Progressive Newsletter Nr.25 (05/1999)

Parallel Or 90 Degrees - The time capsule
(71:55, Cyclops, 1998)

Zwar ist Schubladendenken nicht gerade die innovativste und wohl auch ungerechteste Art eine Band einzuordnen, aber es erleichtert die Beschreibung eines Stils bzw. die musikalische Ausrichtung ungemein. Parallel Or 90 Degrees gehören nun gemeiner- bzw. glücklicherweise zu jener seltenen Spezies von Bands, die einem eine Kategorisierung unheimlich schwierig machen. Um aber trotzdem einen ungefähren Anhaltspunkt zu haben, was man bei "The time capsule" erwartet, sei das Infoblatt der Plattenfirma, sowie die eigene Einschätzung herbeigezogen. Inhaltlich geht es in diesem Konzeptalbum um den Begriff "Zeit", die ja bekanntermaßen manchmal viel zu schnell vorbei ist oder aber auch unnachgiebig zäh kriechen kann. Genau auf diesen zwei Tatsachen baut die Musik der Briten auf, obwohl tempomäßig eher die gemäßigten, ruhigen Takte vorherrschen. Das Spektrum im Klangbereich reicht von Pink Floyd (das Intro "Fast>>fwd" erinnert stark an den Anfang von "The dark side of the moon"), spacige, ellenlange Keyboardparts im Sounds à la Ozric Tentacles oder Porcupine Tree, kräftige Hammondattacken in bester Keith Emerson Manier, deutlicher Bluesrockeinfluss und Melancholie im Stil von VdGG. Das alles zusammen klingt aber dennoch unheimlich frisch und zeitgemäß, Stilelemente des 70er Progrock wurden mit dem Power und den Sounds der 90er Jahre versehen. Parallel Or 90 Degrees zeigen ein Gespür für gute, aber überhaupt nicht platte Melodien, der inzwischen etwas ausgelatschte Begriff anspruchsvoll wird hier wieder in seiner ursprünglichen Bedeutung umgesetzt. Die Stimmung ist insgesamt eher melancholisch, atmosphärisch interessante Wabberteile sind sicherlich nicht etwas für jedermann, aber was der Fünfer auch im temporeichen Bereich drauf hat, zeigt sich vor allem im 22-minütigen Titelsong des Albums. Nicht nur dort gelingt es ihnen anschwellende Dramatik mit instrumentaler Variationsreichtum und bedrohlicher Ruhe zu paaren. Und gebe es heute noch Radiosender, die "normale" Rockmusik spielen würden, das fetzige "The single" hätte dort sicherlich gute Chancen. "The time capsule" ist eine konsequente Weiterentwicklung des Debüts "Afterlifecycle" und was die Band auch live zu bieten hat, dass; können die bestätigen, die sie Ende Februar live in Utrecht sahen.

Kristian Selm



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