CD Kritik Progressive Newsletter Nr.25 (05/1999)
Ian Boddy + Markus Reuter - Distant rituals
(55:48, DiN, 1999)
Ian Boddy, seines Zeichens fast schon ein Veteran der elektronischen Szene in Europa, hat sich, als einer der wichtigsten Exponenten aus der post-TDream-Generation, einen vorzüglichen Ruf als unabhängiger Komponist, Produzent und Musiker erworben und eine Vielzahl von Alben veröffentlicht. Um seine klanglichen Vorstellungen noch besser verwirklichen zu können, hat er nun das Label DiN gegründet, ein neues Label für neue Musik, der Versuch einer Plattform für zeitgenössische Elektronica in Verbindung mit avantgardistischem Rock, Beats. Improvisationen, minimalistischer Musik und anderen modernen Sounds. Alle Veröffentlichungen des DiN-Labels sind streng limitiert und werden nicht nachgepresst werden - eine Maßnahme, die die Einzigartigkeit der auf dem Label vorgestellten Musik unterstreichen soll. Markus Reuter, Mitglied der "Robert Fripp Guitar Craft Academy" und Mitglied des "Europa String Choir" ist ein bienenfleißiger, hoch talentierter Gitarrist, der auf seiner 8-saitigen Warr Guitar allerlei Klänge zu regelrechten Klanglandschaften aufzubauen vermag. Auf "Distant rituals" verbindet er die suggestive, bildliche Kraft seiner Musik mit dem elektronischen (und rhythmischen) Repertoire Ian Boddys. Von Anbeginn dieses Albums ist diese Symbiose für den Zuhörer spürbar - Reuter, der eine Perspektive, eine Vision entwickelt und Boddy, der mit wenigen Strichen eine Architektur hinzufügt, wohlgemerkt eine Architektur, die der Vision Reuters gerecht wird und sie nicht in einer Deutung eingrenzt. Boddy fügt dem Bild einen Rahmen hinzu. Dies kann fast unbemerkt geschehen, eben wir beim Opener "A beginning in light" bisweilen fügt aber Boddy auch der Vision Reuters etwas hinzu, dass ihr zwar implizit ist, erst durch Boddys Maschinen greifbar, hörbar wird: Der Rhythmus. Und immer genau dann, wenn Boddy den rhythmischen Teppich unter die Sphären Reuters legt, wird die Musik auf "Distant rituals" tatsächlich zum "Ritual", etwa zum archaischem rituellem Tanz in "Presentation of an offering" oder zum fragmentarisch- gebrochenem "Trace the memory", den beiden hypnotischsten Stücken des Albums. Doch die fast schon allzu irdische Rhythmik verliert sich wieder, die Musik kehrt zu ihrer freieren, ja freischwebenden Form zurück, um uns dort unserer Imagination, unseren Zweifeln selbst zu überlassen, wie bei "Voices of doubt", die ein Spiegel innerer (und damit persönlicher) Selbstzweifel zu sein scheinen. Zusammenfassend kann man sagen, dass "Distant rituals" wirklich kein Album ist, dass leicht zu ergründen wäre oder den Hörgewohnheiten vieler gerecht werden würde. Dafür benötigt diese Art der Musik viel zu viel Persönliches vom Hörer selbst, der doch so oft alles haarklein vorgekaut bekommt, was er denn wie zu verstehen habe - doch genau hier ist die Stärke des Albums - sie bietet jenem Platz, der sich darauf einlassen will, eine Reise mit sich selbst zu unternehmen, anstatt die fertig interpretierte Vision eines anderen zu konsumieren. Gerade hier, dies sei abschließend bemerkt, ist der Berührungspunkt zur progressiven Musik in ihrer eigentlichen Wirkung - auch sie war dereinst Raum für den Ausdruck der emotionalen Welt des Hörers und nicht die vorgefertigte, am Konsum genormte Reizbefriedigung, die in der Popmusik üblich war und ist.
Sal Pichireddu
Bezugsquelle & Vertriebsliste: http://www.selse.demon.co. uk/DiN.html
© Progressive Newsletter 1999