CD Kritik Progressive Newsletter Nr.20 (05/1998)
Christian Décamps & Fils - 3ème etoile à gauche
(71:56, Sergent, 1997)
Die unumstrittene Nr. 1 der französischen Prog Szene heißt Ange. In den 70ern kam man als Progfan an dieser Band nicht vorbei, in den 80ern versanken sie mit ihren kommerzielleren, rockigeren Alben im Meer der durchschnittlichen Rockbands, während ihnen in den 90ern ein glänzendes Comeback gelang. Von jeher bildeten die Gebrüder Christian (Gesang) und Francis Décamps (Tasten) den Kern dieser Band. Zwischenzeitlich hatte Christian diverse Soloalben herausgebracht, nach der (endgültigen?) Auflösung von Ange weist seine eigene Band mittlerweile ein nahezu konstantes Line-Up auf. Nach seinem zwischenzeitlichen Ausflug in die Musea Gemeinde (für Musea sicherlich aufgrund dieses für Frankreichverhältnisse extrem klangvollen Namens ein Traum) hat er sich jetzt von ihnen losgelöst, was sich auch in der Besetzungsliste wiederfindet, denn der einzige Musiker aus seinem Team, der ersetzt wurde, ist Gitarrist und Musea-Intimus Jean-Pascal Boffo. An seine Stelle tritt Hassan Hajdi. Schon bei seinem ersten Soloalbum aus dem Jahre 79 gab es den Zusatz C.D. & Fils. Ob sein Sohn Tristan, der zu diesem Zeitpunkt wohl noch fast in den Windeln lag, auf diesem Album mit einem kleinen Bäuerchen vertreten ist, weiß ich nicht - mehr war damals von ihm wohl noch nicht zu erwarten. Seit geraumer Zeit fungiert dieser junge Mann in der Band (Les Fils genannt) als Organist, dazu neben Hajdi noch Bassist Thierry Sidhoum und Schlagzeuger Hervé Rouyer. Vor einigen Jahren konnte mich diese Band live begeistern, Sänger / Keyboarder / Gitarrist und Conférencier Christian Décamps aber hatte mich mit seiner faszinierenden Performance regelrecht umgehauen - solch einen charismatischen Frontmanm habe ich selten erlebt! Doch nun endlich zu diesem Album: Christian Décamps durchlebt wieder alle möglichen Gefühlswelten, und das kann dieser Mann wirklich überzeugend rüberbringen. Wer allerdings mit der gesungenen französischen Sprache nichts anzufangen weiß, kann dieses Album gleich ad acta legen. Nach merkwürdiger, einminütiger a cappella-Einleitung geht es im zweiten von insgesamt 17 Titeln gleich mächtig zur Sache: wuchtige Orgel im typischen Franzosen-Prog-Stil dominiert, dazu die kräftige Stimme von Vater Décamps. Klasse! "Quand un oiseau se meurt" erinnert mit seinen Sprechgesang Passagen an Ange zu "Au-dela du delire"-Zeiten. Einer der Höhepunkte des Albums ist der in 4 Teile untergliederte Song "Opera cosmique". Ab Titel 9 ("Quasimodo") gibt es einen Generationswechsel am Mikro: jetzt übernimmt Tristan Décamps die Rolle des Leadsängers. Seine Stimme ist bei weitem nicht so kräftig wie die seines Vaters. Dafür übt er sich speziell im nur von Tasten begleiteten, fragilen "Quatuor" im permanenten Stimmenüberschlag. Auch Bassist Sidhoum darf in "Devine!" mal als Sänger ran, doch insgesamt drückt natürlich Chef Christian Décamps diesem gelungenen Album seine Stempel auf. Für alle Ange Fans unverzichtbar, aber auch für diejenigen interessant, die mal typischen französischen Prog der 90er antesten möchten.
Jürgen Meurer
© Progressive Newsletter 1998