CD Kritik Progressive Newsletter Nr.20 (05/1998)
Nekropsi - Mi kubbesi
(73:00, Ada Müzik, 1996)
Tja, so unterschätzt man manchmal in germanischer Ignoranz völlig zu Unrecht das musikalische Potential gewisser Länder. Bei der Türkei denke ich eher mit Grausen an das furchtbare, völlig übersteuerte Gedudel im Kabelfernsehsender TRT oder an orientalisch angehauchten Ethnopop mit total krassem Gesang. Aber meine Selbstüberschätzung sollte mal wieder furchtbar gestraft werden. Denn es geht auch anders! Hört man sich durch die rein instrumentale CD von Nekropsi, so sind es die beiden Gitarristen Cem und Tolga, die hier abwechselnd ihre Kunst am Griffbrett demonstrieren. Dabei verzichten sie sowohl auf ausuferndes Tempo und Powerakkorde, sondern sie spielen fast völlig unverzerrt, zugegeben etwas orientalisch angehaucht, greifen dabei aber auch auf traditionelle Instrumente zurück. So erzeugen sie eine angenehme Atmosphäre im langsamen und Mid-Tempo Bereich, die sowohl Teile von King Crimson, eine Spur Psychedelic Rock / Space Rock, ein paar Hard Rock Riffs, wie auch folkloristische Elemente einfängt. Die Stimmungen passen eher ins kalte Nordeuropa, als dass man hier südeuropäischen bzw. asiatischen Ursprung vermutet. Besonders gelungen ist das langsam kriechende "Dimli mi". Wer auf Bombast abfährt, wird enttäuscht sein: kein Keyboard, wenig Power, geradeaus und manchmal auch etwas düster geht es hier zur Sache. Und plötzlich, oh großer Kulturschock, bei "94 kor" folgt ein total abgedrehter Beginn, der Song entspannt sich jedoch noch einigermaßen, um im Anschluss einige härtere Stücke von Nekropsi folgen zu lassen, denen anschließend wieder Material aus gewohntem Terrain folgt. Wiederum eine interessante Facette der vier Türken. Insgesamt ist die Spieldauer von exakt 73 Minuten doch eine Spur zu langatmig geraten, die Straffung und das Weglassen einiger Lieder, trotz ansprechender Ideen, hätte hier sicherlich nicht schaden können. Aber um zum Anfang zurückzukehren, meine Ignoranz wurde bestraft und so verspreche ich hoch und heilig bei der nächsten Scheibe aus der Türkei ohne Vorurteile zu kritisieren. Als Bezugsadresse sei Black Rills Records, Hauptstraße, CH-9126 Necker empfohlen.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 1998