CD Kritik Progressive Newsletter Nr.20 (05/1998)

Steve Hackett - The Tokyo Tapes
(55:19 + 55:18, Camino Records, 1998)

Noch kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns dieses neue Werk des ehemaligen Genesis Saitenmannes. Vor einiger Zeit kam von ihm ja schon die "Genesis revisted" heraus, sozusagen ein hausgemachtes Genesis Tributealbum. Dieses Doppelalbum wird nun als die Liveumsetzung dieser CD angekündigt, aufgenommen während der Japan-Tour. Doch da muss ich schon gleich am Anfang mal Einwand erheben. Zwar waren bei der "Genesis revisted" auch Hackett-Stücke mit drauf, dies ist bei den "Tokyo Tapes" aber noch mehr der Fall. Von Genesis sind von 19 Stücken nur sechs, der Rest sind Stücke von Hacketts Soloscheiben, zwei neue Studiotracks und außerdem Songs von früheren Bands seiner Mitstreiter. Die sind wieder mal allererste Sahne. So schaffte es Stevie folgende (Prog)Größen zu verpflichten: John Wetton (King Crimson, UK, Asia), Chester Thompson (Genesis, Frank Zappa, Weather Report), Ian McDonald (King Crimson, Foreigner) und Julian Colbeck (Steve Hackett, Yes). Dementsprechend vernehmen wir auch gute Versionen von "In the court of the crimson king", "Battlelines", "I talk to the wind" und leider ein recht lasches unplugged Geschrammel von Asias "Heat of the moment". Schon bei "Genesis revisted" klebte man nicht so stark wie sonst bei Tributealben an den Originalen und dies setzt sich auch hier fort. Manchmal arrangiert man bestimmte Teile um oder lässt sie sogar ganz weg. Bei "...in that quiet earth" wurde z.B. der genial stampfige Schlußteil komplett weggelassen, was einem richtig weh tut. "Los endos" wurde mit einem ziemlich free-jazzigen Saxophon-Mittelteil versehen, was wohl bei vielen beinharten Genesisfans zu spontanem Haarausfall führen wird. Auch im Mittelteil von "Firth of Fifth" wird improvisiert und v.a. McDonalds Flöte darf sich austoben. Über die Qualitäten der Musiker brauchen wir uns wohl nicht zu unterhalten, ich möchte nur zwei Sachen hervorheben. Zum einen gefällt mir John Wetton mit seinem Gesang und v.a. seinem wirklich passenden Bass-Spiel sehr gut. Zum anderen enttäuschte mich dagegen der langjährige Liveschlagzeuger von Genesis Chester Thomspon leider oft. Kennt man die genialen Aufnahmen der "Seconds out", erkennt man ihn stellenweise kaum wieder. Früher sprühte er vor Technik und Komplexität, hier muss man aber oft ein recht variations- und anspruchsloses Drumspiel hören. Im Großen und Ganzen sind die Songs aber gut und v.a. mal anders umgesetzt, das muss man diesem Album wirklich zugute halten, denn alles genau nachspielen macht ja eigentlich keinen Sinn, da kann man sich ja eine Coverband wie "Seconds Out" anschauen. Ebenso ist die Produktion einwandfrei und das Booklet ist mit guten Fotos ausgestattet. Die Meinungen über die Genesis-Stücke werden sehr geteilt sein, das kann ich jetzt schon sagen. Hacketts Soloergüsse kommen dagegen ziemlich ähnlich wie auf Platte herüber und auch die zwei neuen Lieder klingen wie die letzten seiner Alben und sind damit o.k. Insgesamt ist es schon ein Risiko von diesem einmaligen Projekt gleich eine Doppel-CD zu brennen, aber ich denke die meisten Hackett-Fans, und natürlich viele Genesis-Fans, werden zugreifen.

El Supremo



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